Pirckheimer-Blog

Neuerscheinung

Fr, 15.09.2023

Die Jubiläumsausgabe 250 der "Marginalien" – hier samt originaler Grafik-Beilage, dem Kupferstich "Il bulino" vom Meister Baldwin Zettl. | © Till Schröder

Marginalien: Heft 250 erschienen

Pünktlich im Vorfeld des 50. Jahrestreffens der Pirckheimer-Gesellschaft in Gotha ist es da: das Jubiläumsheft der Marginalien, der Pirckheimer-Zeitschrift, die nun auf sage und schreibe 250 Ausgaben zurückblickt. Erstmals 1957 erschien, gibt es das Organ der Gesellschaft seit nunmehr 66 Jahren, in einer Epoche des großen Zeitschriften-Sterbens ist das ein triftiger Beweis für die Notwendigkeit des vierteljährlichen Hinweisens auf alles Schöne, was sich mit dem Phänomen des Büchersammelns verbindet, und reiht das Journal für Buchkunst und Bibliophilie in die Phalanx der langlebigen und wichtigen Fachzeitschriften dieses Landes ein; auf einem so aufregenden wie hochspeziellen Gebiet zumal. Seit 2017 arbeitet die Redaktion der Marginalien unter der Ägide von Till Schröder deutschlandweit; und auch für das Jubilate-Heft ist auf diese Weise in der Tat einiges Erstaunliches zusammengekommen. Schon auf der Vorderklappe begrüßt den Bibliophilen eine Vignette von PG-Gründungsmitglied Werner Klemke, das Wesen des Büchernarren in treffender und zärtlicher Weise erfassend. Die typografische Beilage bringt drei Begegnungen im Atelier von Lothar Lang, ihn zugleich postum zum 95. Geburtstag würdigend. Mit dem Rückblick Wie man zu seinen Büchern kommt bringt das Heft einen Nachlasstext von Klaus Walther, eingereiht in den thematisch weitgespannten Reigen der Aufsätze, Exegesen, Artikel von u. a. von Peter Arlt, Sigrid Bresler, Matthias Wehry und Jürgen Engler. Till Schröder steuert ein Komplett-Verzeichnis der originalgrafischen Beilagen der Zeitschriftsgeschichte bei. Und auch diese ist für das 250. Heft ganz besonders und gleichsam mit einem Jubiläum verbunden: dem meisterlichen Stich Il bulino von Baldwin Zettl, dem wiederum Redaktionsmitglied Jens-Fietje Dwars zum 80. gratuliert und dankt. Die Ausgabe enthält außerdem im ABC der Druckkunst einen weiteren Beitrag, der sich dem Siebdruck widmet, sowie im Serviceteil eine illustre Folge Rezensionen sowie Nachrichten und Neuigkeiten für den Bücherfreund. Was bleibt noch zu sagen ...? Auf die nächsten 250 Hefte!

(André Schinkel)

Di, 12.09.2023

"Wovon man spricht, das hat man nicht", erschienen als Jahresgabe der PG im Mitteldeutschen Verlag.
Das Grab des geehrten Dichters der Frühromantik in Weißenfels. | © by Doris Antony (via CC BY-SA 3.0)
Der Autor und Kritiker Albrecht Franke aus Stendal.

Forever Young, oder: Niemals alt. Ein Buch für den Dichter Novalis

Für Novalis (Georg Philipp Friedrich von Hardenberg), einen der wichtigsten Romantiker und Erfinder der „Blauen Blume“ (1772–1801), könnte das fast [nach dem ikonischen Alphaville-Song/ Album von 1984] zum Klischee gewordene „Forever Young“ gelten. Er ist im Gedächtnis geblieben als der junge Mann, als den ihn das berühmte Porträt zeigt. Dabei klingen seine Texte, denken wir nur an die Hymnen an die Nacht oder den Roman Heinrich von Ofterdingen, immer gewichtig, geprägt wie von Altersweisheit. Dennoch benannte sich in den 1970er Jahren eine Rockband nach ihm, setzte seine Verse in Musik, zum Beispiel jenes berühmte Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren … Immer wieder erweist sich der trotz seines fragmentarischen, seltsam rauen und zerspaltenen Werkes Frühvollendete als Stichwortgeber und Anreger für die Gegenwart.

Das geschah auch 2022. Es galt, an den 250. Geburtstag des Dichters zu erinnern. Darum baten das Literaturhaus Halle und dessen Leiter, Alexander Suckel, „befreundete Kolleginnen und Kollegen, Gäste des LHH in den letzten Jahren … Texte, zu verfassen.“ Ziel sei eine Auslotung des „Kosmos“ Novalis, indem seine Poetik von unterschiedlichen Stimmen sozusagen ins Heute transponiert würde. Der thematische Ansatz „Wovon man spricht, das hat man nicht“ zeigt die ironische Seite Novalis’, denn in den Dialogen [postum 1802], woher das Zitat stammt, sprechen die Gesprächspartner vom Wein und vom Verstand. Das Vorwort führt den Leser instruktiv ins Buch ein, erklärt, in Anlehnung an Bert Brechts eigentümliches Gedicht Die Teppichweber von Kujan-Bulak ehren Lenin [1929, zuletzt in den Ausgaben der Kalendergeschichten ab 1949], dass die Autoren sich ebenfalls nützten, indem sie Novalis ehren, wie einst die Teppichweber Lenin. 

Die Autoren, man kann sich über sie am Ende des Buches informieren, sind in der Reihenfolge ihres Auftritts: Karl-Heinz Ott, Clemens Meyer, Jens Jessen, Torsten Schulz, Martin Becker und Greta Taubert, Eike Goreczka und Katrin Schumacher. Damit sind verschiedene Genres und Herangehensweisen, Ausdeutungen, Bezüge garantiert, die ein abwechslungsreiches Lesevergnügen bescheren. Vergnüglich auch der wie in Schreibschrift gehaltene Novalis-Bezug, dem Erzählung, Essay, Reminiszenz usw. folgen. Nur am Buchende wird das Prinzip einmal durchbrochen, indem (aus dem Kunstprojekt Gast – Portrait – Antwort des Literaturhauses) eine Radierung von Sven Großkreutz mit einem kurzen Text von Katrin Schumacher „beantwortet“ wird – es ist dies eine der schärfsten, prägnantesten „Begegnungen“ mit Novalis, deren Zeuge man im Buch werden kann.

Man sollte dieses Buch nicht lesen, wie man sonst liest. Ich empfehle, das Inhaltsverzeichnis aufzuschlagen und sich von den Titeln der Beiträge gefangen nehmen und in eine romantisierte und poetisierte Welt führen zu lassen: Zu Krautrock und Hydrogeologie, um in Erinnerungen an die Band Novalis zu gleiten. Durch eine Verklärte Nacht zu fahren, in einer seltsamen Kutsche, wo aus einem Tintenklecks doch noch die Blaue Blume wird. Dann eine Liebeserklärung an Novalis zu lesen, die nicht dem hübschen jungen Mann gilt, sondern einem Dichter, dem wir eine „Entlarvung Goethes“ verdanken. Man kann nachempfinden, wie sich einem heutigen Schriftsteller Zugänge zu Novalis erschlossen oder von einer sehr gut zu lesenden philosophischen und literarischen Ausdeutung Novalis’ bereichert werden, obwohl deren Titel vom Nichtssuchen, sattem Herzen und leerer Welt spricht. Oder ganz in der Gegenwart ankommen beim Heimischwerden und doch sehnsuchtsvoll Fremdbleiben einer Familie, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen ist, deren Begleiter man als Leser wird. 

Und: Die Notwendigkeit der „Poetisierung“ vorgeführt zu bekommen und begreifen zu lernen; Worte zu lesen, die man sich angesichts eines desolaten Welt- und Umweltzustands ins Notizbuch übertragen sollte: „Mit der Poesie können wir in der Trauer um das Aussterben die Freude an der Lebendigkeit entdecken. […] Mit dem poetischen Blick können wir diese große Liebesbeziehung wahrnehmen, sie ästhetisieren und zelebrieren – und uns damit für die bevorstehende Traurigkeits-epidemie rüsten.“ Das hätte wohl auch Novalis unterschrieben und vielleicht sein Siegel darunter gesetzt. Es lohnt sich der Besuch in der Novalis-Welt und der seiner Nachfolger, die seine Gedanken aufnehmen und zeigen, dass sie alles andere als „längst vergangen“ sind, sondern wie gemacht für uns und die Gegenwart. Die Blaue Blume der Romantik wird genauso wenig alt wie ihr Erfinder. 

Das Buch ist von einer Schönheit der Buchgestaltung, wie sie leider selten geworden ist heutzutage. Man bekommt die Blaue Blume zu fühlen, wenn man es in die Hand nimmt. Denn die Buchdeckel sind davon übersät. Doch damit nicht genug: Der hallesche Grafiker und Maler Sven Großkreutz schuf eine Radierung von Novalis, die man auf der Seite 108 findet. Und es liegt dem Buch ein weiteres Novalis-Motiv des Künstlers als Originalabzug bei, als Jahresgabe der Pirckheimer-Gesellschaft. Diese liebt, so ihr Leitgedanke, Bücher und Graphiken ... alles, was schön ist. Mit diesem Buch hat sie sich selbst, den Romantikbegeisterten, jedem Bücherfreund ein Geschenk gemacht. (Wovon man spricht, das hat man nicht. Neue Texte zu Novalis, hrsg. vom Literaturhaus Halle, für die Mitglieder der Pirckheimer-Gesellschaft mit einer Radierung von Sven Großkreutz. Halle: Mitteldeutscher Verlag 2023, Hardcovereinband, 114 S., ISBN 978-3-96311-752-7, 16 Euro.)

(Albrecht Franke)

Mo, 11.09.2023

Spyras "In Auflösung begriffen" erschien als Band 59 in der roughbooks-Reihe im Verlag von Urs Engeler .
Michael Spyra: "In Auflösung begriffen" ist nach "Auf die Äpfel hatte der Herbst geboxt" und "Die Berichte des Voyeurs" sein dritter regulärer Gedichtband.

Spyra: In Auflösung begriffen

Es ist der dritte reguläre Gedichtband des gebürtigen Ascherslebers, und er erschien nach zwei Büchern im Mitteldeutschen Verlag (Auf die Äpfel hatte der Herbst geboxt von 2014 und Die Berichte des Voyeurs von 2021) bei Urs Engeler in der rough-books-Reihe (Band 59), in der auch die Büchnerpreisträgerin und Seele der aufgeweckten Szene Elke Erb verlegt. Ungewöhnlich ist, dass die Edition des Bandes von Michael Spyra in einer Reihe mit den experimentellen, konkreten und seriellen Textsammlungen steht, für die Engeler eigentlich bekannt ist ... bedient sich der Autor doch vornehmlich klassischer und gebundener Metren, hier vor allem in streng alternierenden, gereimten Versen wie auch im Vorgängerbuch: Möglich, dass die Zurückwendung zu den gebauten, nicht mehr zersplitterten Formen doch wieder in den Ruch der Avantgarde gerät nach all dem, nun ja, auch Buchstabensalat, der durch die vergangenen Jahrzehnte geisterte. Nein, Spyra ist dabei nicht, und das ist reziprok reizvoll, um weltvolle Themen und Motive verlegen, die er da in seine unter anderem an Vorgänger und Vorbild Ror Wolf geschulten Texte bindet. Nichtsdestotrotz widmet er sich in den teils hohen Tönen durchaus weltlichen, alltäglichen Dingen, von einer Reise nach Kuba einmal abgesehen, und schafft so eine luzide Melange aus Ätherik und Bodenkunde. „Insgesamt habe ich den Eindruck eines angenehm unangenehmen Buches. Es ist dunkel und trübe, einsam, verlassen, gleichgültig und lakonisch, ein grauer Donnerstag ohne Termine. Es gefällt mir damit ausgesprochen gut und ich bekomme große Lust, die Familie sich selbst zu überlassen und in eine Kneipe zu gehen“, schreibt der Autor im Vorfeld der Drucklegung an die Verleger. Und diese setzen die Selbstauskunft nicht nur aufs Cover des Bands, sondern antworten in gleichsam zärtlicher Lakonie: „Dem lässt sich, nüchtern betrachtet, im Grunde nicht viel hinzufügen. Außer, dass es verschiedenste Landschaften in diesem Gedichtband gibt, in denen viele Menschen verloren gehen.“ Irgendwie doch eine gute Aussicht in diesen in die Zerkrümlung und zweispaltende Zerwüstung geratenden Zeitläuften, dass ein für seine Liebe zum Buchstabenbiegenden bekannter Editeur sich auf diese sortierthebige Versuchsanordnung von Michael Spyra einlässt. Und in die Kneipe gehen kann man dann immer noch in diesem wider alle Zeit-Metronomik leuchtenden Spätsommer. Und wenn man gut beraten ist, nimmt man einen Band Gedichte zum Bier. (Michael Spyra: In Auflösung begriffen, Zürich: Urs Engeler 2023, 82 S., ISBN 978-3-90605-091-1, 14 Euro.) 

(André Schinkel)

Mi, 09.08.2023

"Schwankende Kanarien": Die Buchgestalterin und Romanautorin Judith Schalansky wurde für ihren Essay mit dem Wortmeldungen-Preis 2023 geehrt.

Ehrung: „Schwankende Kanarien“

Schwankende Kanarien ist der vierte Band der Wortmeldungen-Reihe im Verbrecher Verlag in Berlin. Das Editionshaus ist bekannt für seine salomonisch gestaltet zu nennenden Bücher: Denn einerseits stehen die meisten Verbrecher-Veröffentlichungen im Bann eines betörend schlichten Coverdesigns, das aber, und das ist ja nicht mehr allzu häufig, etwa in der Tradition der Bibliothek Suhrkamp oder des Diogenes-Verlags von einer bestechenden Schönheit ist. In dieser Reihe nun, die in Reinweiß mit den typischen Schriftzügen in Signalrot daherkommt, scheint das Konzept auf die ästhetische Spitze getrieben. Aber das ist auch ganz passend so: Ist doch die schmale Folge jeweils den Preisträgerinnen und Preisträgern des Wortmeldungen-Literaturpreises der Ulrike-Crespo-Stiftung gewidmet, die jährlich damit einen bedeutenden Essay auszeichnet. Die Ehrung erhält für 2023 Judith Schalansky, die nicht nur als Autorin, sondern auch als Buchgestalterin von hohen Gnaden (so gestaltete sie alle ihre bisherigen Bücher selbst, ihr Atlas der abgelegenen Inseln wie auch der Roman Der Hals der Giraffe wurden einst von der Stiftung Buchkunst als Schönste Bücher geehrt) großen Erfolg hat und bei Matthes & Seitz für die Editionsreihen Naturkunden und Wildes Leben verantwortlich zeichnet. Im geehrten Text selbst Judith Schalansky am Beispiel der Kanarienvögel, die als Warntiere mit in die Bergwerke einfuhren, der Bedeutung und Zukunft von Frühwarnsystemen für den Menschen von der frühen Neuzeit bis in die Gegenwart nach. Geleit des Texts ist ein Vorwort von Sandra Poppe und Christiane Riedel, ihm folgt die Laudatio von Philipp Theisohn. Das Büchlein (72 Seiten, ISBN 978-3-95732-564-8, 14 Euro) kommt mit einem festen Einband daher und ist ein gutes Beispiel, dass auch im laufenden Verlagsbetrieb bibliophile Eleganz und Schönheit (wie auch im übrigen Programm des Verbrecher-Verlags) möglich sind. 

(André Schinkel)

Mi, 02.08.2023

Soeben erschienen: Der "Hamburger Bothe" Nr. 17.

Hamburger Bothe 17 erschienen

Die neueste Ausgabe des Hamburger Bothen, der Post für bibliophile Leser und Sammler, die seit 2020 von Rudolf Angeli und Peter Engel in der Metropole an der Elbe herausgegeben wird und mittlerweile im gesamten deutschsprachigen Raum Interessierte mit bibliophilen Einblicken und Berichten sowie in jeder Nummer auch mit neuesten literarischen Texten versorgt, ist soeben für den August erschienen. Peter Engel zeigt in seinem Editorial auch zugleich eine neue Rubrik an: den Werkstattbericht, den für das aktuelle Heft Klaus Waschk, dem Verlag Angeli & Engel, in dem in Kürze ein zweites Buch von ihm erscheint, eng verbunden, beisteuert. Weiterhin berichtet Abel Doering, seit kurzem neuer Vorsitzender des Berliner Bibliophilen Abends, von der überaus wechselhaften Geschichte der Berliner Bibliophilen und gibt im Heft auch gleich die Bibliophile Empfehlung. Und Peter Arlt schreibt in seinem Flugbericht des Ikaros vom Weiterleben der Mythen in der Kunst der DDR und der Fortsetzung dieser künstlerischen, motivischen Tradition bis in die Gegenwart. In der Autorenrubrik stellt sich Herbert Hindringer, Träger des Hamburger Literaturpreises für 2022, mit drei Texten (Erstes Gedicht nach dem Tod meines Vaters, _lückselig und Grüß Göttin) sowie einem kleinen Selbstporträt vor. Seine beiden bekanntesten Bücher sind: Distanzschule (2007 bei yedermann) und quasi sympatrisch Nähekurs (2012 bei Fixpoetry erschienen). Der gebürtige Passauer, heute Hamburger Autor liest im Übrigen am 11. Oktober um 19 Uhr im Säulenkeller der Patriotischen Gesellschaft (Trostbrücke 4, 20457 Hamburg), der Eintritt zur Veranstaltung ist frei. Der Hamburger Bothe erscheint monatlich digital und kann auf besondere Anfrage auch postalisch versandt werden, die vorliegende ist bereits die 17. Ausgabe; Kontakt zu den Herausgebern und zur Anforderung besteht über die Mailadresse Rudolf_Angeli@web.de

(André Schinkel)

Sa, 29.07.2023

Ganz neu in der Edition M & M: Ausgewählte Erotici von Alexander Puschkin, gestaltet und realisiert von Jürgen Meyer Jurkowski, mit neun eingebundenen und einem lose beiliegenden Zweifarb-Linolschnitt des Pirckheimers JMJ. | © Jürgen Meyer Jurkowski

Bibliophiles des Monats: Erotica Alexander Puschkins bei M & M

Es ist gewissermaßen Fortführung und Kreisschluss in einem: das neue Buch in der Edition M & M, kompiliert und gestaltet von ihrem Betreiber Jürgen Meyer Jurkowski. Einerseits vertieft der Hamburger Künstler und Pirckheimer-Freund mit dem Werk seine Exegese des weitläufigen Werks von Alexander Puschkin (1799–1837), des wohl größten und bedeutendsten Dichters, Romanciers und Erzählers in der russischen Literatur im frühen 19. Jahrhundert, mit dem zugleich die erste Vorhut der Moderne in die russischsprachige Kultur Einzug hält. In der Edition bzw. ihrem Umkreis erschienen bereits Der Sargmacher, Schneesturm und Der Schuss drei Novellen des Meisters, der selbst ein hochtragisches Schicksal erlitt, illustriert und grafisch begleitet von Meyer Jurkowski.

Zugleich setzt JMJ nach dem Vorgänger-Buch mit dem seinerseits sprechenden, aufreizenden Namen Sternzeichen-Fick-Info (2021, mit Versen des Romanautors Frank Schulz) mit dem nun wiederum hochexpliziten Titel Mach deine Beine breit ich bin dein Epitaph seine Vorliebe für Puschkin mit der (hier nun auch ihren Abschluss findenden) erotischen Phase der Edition M & M in Engführung. Worte, die man dem Klassiker und Verfasser der Ikonen Eugen Onegin und Die Hauptmannstochter nicht auf den ersten Blick zutraut nun aber es ist bekannt, dass Puschkin gern und auch im Erotischen, Geschlechtlichen verbal oft übers Maß und an die Grenze gehend lebte, und so gibt es einen nicht unerheblichen Bestand an Erotici aus seiner Feder. Sie liegen seit 1999 in einer von Michael Engelhard ins Deutsche gebrachten Sammlung im Insel Verlag vor. 

Überaus deftig und sinnenfroh geht es in dieser Werkgruppe Puschkins, die ähnlich einiger der Priapeia Johann Wolfgang von Goethes im Umkreis der Römischen Elegien wenige Jahrzehnte zuvor, den öffentlichen Gepflogenheiten der jeweiligen Epoche entsprechend, zensiert wurden und für anderweitige Aufregung zugleich sorgten. So ließen sich diese Texte lange, vor der adäquaten Übersetzung durch Engelhard, die auch die Grundlage der bei M & M vorliegenden Auswahl ist, nur in entschärften und geglätteten Fassungen lesen. Und gegenüber den doch immerhin stets um klassizistische Fassung ringenden Hexametern Goethes geht es bei Puschkin nicht nur zugreifend, nein, auch ironisch und frech zu. Das beglückende Geschlecht eines hohen militärischen Herrn etwa wird mit der Lupe gesucht, nein, schlimmer, mit einem Mikroskop ... als käme es auf die Größe an; ja, und so manche Sottise wird dem einen oder anderen zarten Gemüt vielleicht aufstoßen. 

Gleichzeitig steckt in diesen Versen, von denen der Meister nicht wenige hingeworfen und in mehr oder weniger privatimer Korrespondenz eingeflochten haben wird, eine Sinnenfreude und wahrhafte Lebens- und Liebens-Lust, dass es sich nicht ganz leicht mit dem zeitigen Ende Puschkins als Opfer eines von ihm geforderten Duells abstimmen lässt. Bis heute werden still Gerüchte genährt, der damalige Eklat war ein aus Lebensüberdruss inszenierter. Nun: Zu diesen Theorien ist das vorliegende Buch mit seinen höchst unbekümmerten Avancen ans Fleisch das vollständige Gegen-Programm. Das liegt auch in seiner gestalterischen Güte, Tiefe und Qualität. Puschkin-Verehrer Jürgen Meyer Jurkowski gibt den kleinen Verseinheiten auf den 26 Seiten von Mach die Beine breit Raum und zuweilen den Inhalt adelnde Schönheit, unterstrichen durch Festeinband, geprägten Einband und exklusiv beiliegendes Puschkin-Porträt, gehüllt in einen edlen Schutzumschlag

Dabei geht er in seinen neun eingebundenen Linolschnitten durchaus nicht weniger explizit vor, als es die literarische Vorlage gebietet. Auch in seinen Drucken schwingt alles in flächig-feiner, in erotischer Temperatur und Konfrontation in Schwarz, Grün und dem gedeckten Hell des Fonds, das durch die Ballungen und Findungen Meyer Jurkowskis blitzt. Den Erotica-Beigaben liegt am Ende des Buchs, das ein kleines Nachwort zu Entstehung und Form begleitet, lose besagtes Porträt im gleichen Format von 21 x 15 Zentimetern (bei einem Gesamt-Buchformat von 31,5 x 21 Zentimetern) bei. Das Werk wurde vollständig vom Künstler gestaltet und realisiert, bei einer nur kleinen Verkaufsauflage von lediglich 12 von Jürgen Meyer Jurkowski nummerierten und signierten Exemplaren mögen sich die Interessenten in Sachen Bibliophilie, künstlerische Erotik und Puschkiniana beeilen. Kontakt zum Künstler und Betreiber der Edition M & M besteht bei Interesse über die Mailadresse jmj.meyer@gmx.de. Ein aufregend-provokantes, schönes Buch.

Alexander Puschkin: Mach deine
Beine breit – ich bin dein Epitaph.
Mit 9 zweifarbigen Linolschnitten und
einem beigelegten Puschkin-Porträt
im gleichen Format (21 x 15 cm)
von Jürgen Meyer Jurkowski.
26 Seiten, SchU, Gewebeeinband
mit einfarbiger Deckelprägung.
Hamburg: Edition M & M 2023, 
12 Verkaufsexemplare, vom Künstler
nummeriert und signiert, 580 Euro.

(André Schinkel)

Fr, 28.07.2023

"Daliegen wie eine Falltür", der jüngste Band des Buchkünstlers und Autors Danilo Pockrandt aus Halle, erschien in der Berliner Edition Monhardt.
Als Autor, Grafiker, Ilustrator tätig: Danilo Pockrandt.

Daliegen wie eine Falltür

Sie gehören zu den kleinsten Formen der Weltliteratur: Microrelados, Kürzestgeschichten, die so pointiert wie fix vorüber sind. Eine der allerberühmtesten stammt von Augusto Monterroso und besteht aus ganzen acht Worten: „Als er erwachte, war der Dinosaurier noch da.“ Aber auch Ernest Hemingway wird davon ein illustres wie gruselndes Exemplar („Kinderschuhe, niemals getragen, preiswert abzugeben.“) zugeschrieben, naja, und die Kurz- und Kürzesttexte der beiden Schweizer Literaturinstanzen Peter Bichsel und Franz Hohler sind längst ikonisch zu nennen. Das Eigene, Besondere dieser neben dem Aphorismus schmalsten Form der künstlerischen Prosa ist wohl in seiner Ambivalenz, in der Kürze eine gewisse Offenheit zu wahren und aber doch eine in sich kreisende Welt zugleich zu umschließen auf skurrile, zuweilen auch verstörende Art, zu suchen. 

Ein ganzes Buch solcher Welten im Miniaturformat hat der hallesche Buchkünstler und Autor Danilo Pockrandt, der auch für seine Kindergedichte und Zeichnungen bekannt wurde, in der von Stefan Monhardt in Berlin betriebenen, hochambitionierten Edition Monhardt veröffentlicht. Auf 140 Seiten entfaltet sich ein Kosmos aus Tiefe und oft abgründig-skurrilem Humor, der bei aller Kürze der Texte zu denken, in den Abend zu schauen gibt. Manche dieser Texte unterbieten noch die Kürzestvorgaben, so ist der Titel des Buchs letztlich auch eine vollständige, in sich ruhende Geschichte. Nicht selten sind es Aufwachtexte ... das Changieren zwischen der unbewussten und der erhellten Morgenwelt ist ganz offenbar der Fonds dieser Stücke, die zu erstaunlichen Einfällen und Volten gelangen. Ein Aspekt, der sich bereits in der Coverabbildung die Mentalität, Färbung vieler Texte aufgreifend, manifestiert und variiert letztlich durch die ganze Sammlung geführt ist. 

Dass Danilo Pockrandt dabei ein heute nur noch selten zu findendes Gespür für eine ihm eigene Engführung aus Humor und Ernsthaftigkeit, Staunen und Gewissheit in seine Texte trägt, ist seit seinem Buchdebüt Der Kopf ist für das Denken rund, das, von ihm selbst illustriert, Kindergedichte, „auch für Erwachsene geeignet“, enthält, offensichtlich. Es setzt sich auch in allen weiteren Arbeiten, in Prosa wie in Lyrik, fort, und findet im laufenden Jahr seine Kulmination in Daliegen wie eine Falltür und einem weiteren Buch (über das später zu sprechen sein wird), das unter dem Titel Das Lepomu ein ausgedachtes Bestiarium in Text, Beitext, Bild, ja, und glaubhaftem Statement, alle dort versammelten Wesen gäbe es wirklich, aufbietet. Aber dafür will erst der bei Stefan Monhardt ausgelegte Kosmos der Microrelados, ihrer Miniaturplots und Flügelschläge ... durchschritten sein. 

Das Buch selbst steht in einer für die Edition typischen Spanne zwischen heilig lesenotwendigem Gebrauchsgegenstand und eben bibliophiler Haptik wie Eleganz. So ist Daliegen wie eine Falltür in seiner Konsequenz und seinem zugleich einzigartigem sprachlichem/gedanklichem Timbre ganz sicher eines der ungewöhnlichsten Bücher des Sommers, aber auch eines der schönsten. „Ich habe diesen quietschenden Schuh. Er erinnert mich daran, dass ich gehe.“ Nun, das ist so wahr wie es köstlich ist. (Danilo Pockrandt: Daliegen wie eine Falltür, Kurzprosa, Berlin: Edition Monhardt 2023, 140 Seiten, geb. mit Fadenheftung und Lesebändchen, ISBN 978-3-9817789-9-1, 25 Euro.)

(André Schinkel)

Sa, 22.07.2023

"Der Große Atlasspinner" von Christoph Liedtke ist Text- und Bildband zugleich und enthält Gedichte, Malerei und Fotografie des umtriebigen Künstlers.

Liedtke: Der grosse Atlasspinner

Höchste Zeit, die Runde schöner Sommerbücher zu eröffnen: In loser Folge wird in den nächsten Wochen mit dem Ferien- und Urlaubsverlauf mit Augen- und Sinnenschmeichlern geklingelt. Gerade die jüngere und mittlere Szene ist dabei so einfallsreich wie lange nicht, letztlich wären mit Editionsunternehmen wie dem Verlagshaus Berlin, der Edition Azur oder auch der Parasitenpresse ganze Programme zu feiern. Auch der Mitteldeutsche Verlag, seit einem Dreivierteljahrhundert aktiv und also an sich ein gesetzterer Herr im Pool, spielt dabei mit, was mit einem jungen und sehr ambitionierten Team zu tun hat, das unter der Ägide von Roman Pliske arbeitet. In diesen Tagen wird Der große Atlasspinner ausgeliefert, Texte, Malerei und Fotografie von Christoph Liedtke enthaltend, ein prächtiger Hardcover-Band, der die große Bandbreite Liedtkes andeutet, der zudem und ursprünglich Bildhauer ist, andeutet und umkreist. Seine Wurzel hat dieses Buch letztlich auch in der halleschen Kunsthochschule, der Burg Giebichenstein: Dort studierte Christoph Liedtke, der sich mit seiner Atlasspinner-Kollektion als ein, so der Teaser des Verlags, „Vagabund zwischen den Disziplinen“ erweist, Plastik und ist seither in vielen Künsten unterwegs. In seinem 160-Seiten-Band im schönen Format von 16 x 24 Zentimetern finden sich denn auch Gedichte, Malerei und Fotografien dieses „erfrischend direkten“ Künstlers. Liedtkes Gespür für Eigensinn und Plastizität durchzieht, durchpulst so alle Gattungen, die der Große Atlasspinner unter diesem sprechenden Titel vereint. So zeigt sich der gebürtige Saalfelder nicht nur als Betrachter der Kratzer und Spuren im Alltag, sondern erweist sich zudem als ihr organischer wie sezierender, als ihr eindrücklicher wie unbestechlicher Kommentator. (Christoph Liedtke: Der große Atlasspinner, Texte, Malerei und Fotografie, Halle: Mitteldeutscher Verlag 2023, 160 S., geb., ISBN 978-3-96311-831-9, für 28 Euro.)

(André Schinkel)

Fr, 21.07.2023

Neu: Das Gutenberg-Jahrbuch auf das Jahr 2023 ist soeben bei Harrassowitz in Wiesbaden erschienen.
Nachruf: Eckehart SchumacherGebler (1934–2022).
Gutenberg-Preisträger 2022: Jeffrey F. Hamburger.
Der Egidienplatz in Nürnberg. In der linken Flucht des Platzes befand sich die Druckerei von Anton Koberger, dessen in der Universität Nürnberg-Erlangen aufgefundenes Blatt "O Vos Sacerdotes Dei" eines der vielen Themen im neuen Band des Jahrbuches der Gutenberg-Gesellschaft ist.

Gutenberg-Jahrbuch erschienen

Gutenberg-Jahrbuch: Das Erscheinen des buchwissenschaftlichen Periodikums ist jedes Jahr ein langerwartetes und spannendes Ereignis. Für die Ausgabe 2023 gab es viele wichtige Änderungen. Zunächst hat sich die Zusammensetzung der Herausgeberschaft geändert. Stephan Füssel, seit 1994 für die Publikation verantwortlich, übergab seine Aufgaben an die Mitglieder des Gutenberg-Lehrstuhls der Universität Mainz: Gerhard Lauer, Philip Ajouri, Julia Bangert und Nikolaus Weichselbaumer. Auch gab es einen Wechsel in der Gestaltung. An die Stelle des seit 2003 für das Jahrbuch arbeitenden Ralf de Jong trat Dan Reynolds. Drittens ist Michael Ebling, nach über zehn Jahren in dieser Position, aus dem Präsidentenamt der Gutenberg-Gesellschaft ausgeschieden.

Zwei Beiträge (von Susanne Zippel, Stephan Füssel und Julia Bangert) sind dem Andenken von Eckehart SchumacherGebler (1934–2022), Drucker, Schriftsetzer, Bewahrer vieler Bestände der Druckerei-Geschichte und auch Träger des Mainzer Gutenberg-Preises 2022, gewidmet. Und dem zweiten Mainzer Gutenberg-Preisträger, Jeffrey F. Hamburger, widmet sich der Text von Falk Eisermann. Der amerikanische Kunsthistoriker mit den Lebensthemen „Frauen–Kloster–Kunst“ bekam den Preis, so heißt es auf der Website der Gutenberg-Gesellschaft zur Begründung, weil er „eine [...] wissenschaftliche Lücke der Kunst- und der Buchforschung schließt“ – und: „es gelingt ihm in besonderer Weise, mittelalterliche und moderne visuelle Kultur im Dialog zu erklären“.

Die Gutenberg-Gesellschaft bietet traditionell Publikationen zu einem sehr breiten Spektrum von Themen an: von Frühgeschichte des Drucks bis Typografiegeschichte des 20. Jahrhunderts. In Don Skemers Artikel Philobiblion und seine mittelalterlichen Leser befasst sich der Autor mit den Schreibern, Besitzern, Kommentatoren, Lesern und Eigentümern des handschriftlichen Traktats zwischen 1350 und 1500. Im Laufe seiner Forschungen identifizierte er 65 Handschriften, die im Anhang aufgeführt sind (etwa zwei Zehntel mehr als bisher bekannt). Interessanterweise wurden in diesem Zeitraum im deutschsprachigen Raum nahezu doppelt so viele Handschriften-Listen erstellt wie in England. Viele von ihnen stammen aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, als in Deutschland bereits zwei Ausgaben des Werkes (von 1473 und 1483) gedruckt worden waren.

Paul Scheitzer-Martin schreibt Zum Verhältnis von Papier und Buchdruck im Spätmittelalter. Im Rahmen der Tätigkeit im Sonderforschungsbereich zum Thema Materiale Textkulturen. Materialität und Präsenz des Geschriebenen in non-typographischen Gesellschaften (Teilprojekt Die papierene Umwälzung) in Heidelberg geht er Fragen nach, ob sich Druck- und Schreibpapier unterschieden, wie sich die Papierherstellung durch die für die Drucker benötigten Papiersorten veränderte und – als Schlüsselfrage – was das Material des mittelalterlichen Papiers den Forschern sagen kann und welche Methoden zur Untersuchung dieser Frage am fruchtbarsten sind. Das Thema der Produktion des Buches setzt sich im Text von Jade Samara Piaia und Priscila Lena Farias (Movable metal type trade between Germany and Brazil at the turn of the 19th to the 20th century) fort.

Der Artikel Johann Bämler and the Making of Küchenmeisterei von Louis A. Pitschmann bezieht sich auf das älteste bekannte gedruckte deutsche Rezeptbuch (1485). Das Augenmerk des Autors liegt dabei nicht wie in früheren Studien auf der textlichen Auswertung oder Quellenlage, sondern auf der Untersuchung der Terminologie im Vergleich mit anderen deutschsprachigen Inkunabeln des 15. Jahrhundert. Ihre Untersuchung wird in weiteren Artikeln fortgesetzt. Vinicius de Freitas Morais untersucht im Beitrag Das Blut Christi und die blutenden Hostien in den Inkunabeln zum Sternberger Fall (1492) Autoren, Bilder, Normen der Andachtstypen und Genese der Endfassung der Erzählereignisse der antijüdischen Inkunabeln. Harald Berger erforscht die Frage: Wer könnte der Verfasser der logischen Werke in den Drucken Basel 1487 sowie Hagenau 1495 und 1503 sein?

Randall Herz untersucht das in der Universitätsbibliothek Erlangen-Nürnberg gefundene Flugblatt von Anton Koberger, das aus typografischer Sicht von besonderem Interesse ist (O Vos Sacerdotes Dei: A New Broadside from Anton Koberger’s Nuremberg Press). Hansjörg Rabanser gibt eine biographische Charakterisierung des Buchwesens in der Grafschaft Tirol im Artikel Buchhändler, verlegende Buchbinder und druckende Gesellen des 17. und 18. Jahrhunderts in Innsbruck. Der Autor rekonstruiert die Geschichte auf der Grundlage neuer Quellen, aber auch auf Basis einzelner Veröffentlichungen, mit denen seine Protagonisten in Verbindung gebracht werden. Marvin J. Heller in seinem Artikel Hebrew printing in Novy Oleksiniec: A Rose in the desert: a Brief, Barely Remembered Hebrew Press berichtet über hebräische Ausgaben, die in den Jahren 1767–1776 in Novy Oleksiniec (Ukraine) veröffentlicht wurden. Dabei handelt es sich um Kommentare zu biblischen Texten, ethische Werke und endlich um einige Bücher mit kabbalistischem Inhalt.

Muriel Collart, Daniel Droixhe und Alice Piette attributieren eine der Ausgaben des Werks von Jean-François Marmontel im Aufsatz „Je suis à la troisième édition de Bélisaire“. Une contrefaçon du Belisaire de Marmontel par le Liégeois Jean-François Bassompierre (1767)Lüttich war eines der wichtigsten Druckzentren für Raubdrucke von Bestsellern der Aufklärung. Die Autoren vergleichen die Schriftarten der verschiedenen Ausgaben, die Frontispize und Stiche sowie die Verzierungen, aber sie können noch immer keine Antworten auf einige der wichtigsten Fragen finden. Den Abschluss der Sammlung bilden die traditionelle Liste der Neuerscheinungen im Bereich der Inkunabelforschung und die Chronik der Gutenberg-Gesellschaft

Gutenberg-Jahrbuch 98 (2023), hrsg. von G. Lauer, N. Weichselbaumer, P. Ajouri und J. Bangert, Wiesbaden: Harrassowitz 2023, 256 Seiten, 92 Abb., 1 Tab., ISBN 978-3-44712-016-6, 98 Euro.

(Maria Bogdanovich)

So, 09.07.2023

Professor Dr. Hans-Walter Stork, Direktor der EAB in Paderborn. | © Theologische Fakultät Paderborn

Druckfrischer Exlibris-Katalog

Exlibris in den Büchern der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek Paderborn – dieser höchst fundierte Auswahlkatalog erschien, worauf Klaus Rödel im jüngsten FISAE-Newsletter nochmals verweist, anlässlich der Jahrestagung der Deutschen Exlibris Gesellschaft (DEG) im Mai 2023 in Paderborn, bei der die DEG auch beschloss, den Zusatz Forum für Kleingrafik einzuführen: „Bereits 2017 hatte die DEG eine Jahrestagung in Paderborn abgehalten und dabei auch die Erzbischöfliche Akademische Bibliothek besucht, deren Exlibris in einer Kabinettausstellung präsentiert wurden. Einen Katalog gab es damals leider nicht. Umso erfreulicher ist die Veröffentlichung dieses Katalogs, der ein wichtiger Beitrag zur Literatur über das Exlibris ist und hoffentlich viele Freunde finden wird. Hans-Walter Stork hatte ja bereits in seinem hervorragenden Vortrag während des Besuches der Bibliothek der EAB einen Vorgeschmack auf sein fundiertes Wissen im Bereich [des] Exlibris gegeben, und nun ist es für alle zugänglich, die sich diese ausgezeichnet illustrierte Veröffentlichung (Hans-Walter Stork: Exlibris in den Büchern der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek (EAB) Paderborn. Ein Auswahlkatalog. Paderborn 2023. Broschur, 128 Seiten, 25 x 18,5 cm, ISBN 978-3-982523-0-4) anschaffen. Interessenten wenden sich bitte an die Mail info@eab-paderborn.de.

(André Schinkel/Pressemitteilung)

Fr, 30.06.2023

Troisdorfer Bilderbuchpreis 2023 für Sabine Kranz.

Troisdorfer Bilderbuchpreis geht 2023 an Sabine Kranz

Der Troisdorfer Bilderbuchpreis geht 2023 an Sabine Kranz für ihre Illustrationen zu In meinem Rucksack wohnt ein Tiger. Autor des Buchs ist Uwe-Michael Gutzschhahn, es erschien bei Sauerländer/Fischer KJB. Der Troisdorfer Bilderbuchpreis ist der einzige Spezialpreis für künstlerische Bilderbuchgestaltung im deutschsprachigen Raum. Die dreiköpfige Jury entschied einstimmig, Sabine Kranz den ersten Preis des Troisdorfer Bilderbuchpreises zuzuerkennen und vergab zugleich drei weitere Preise. So erhielt Susanne Straßer für Wenn Gott ein Kaninchen wäre (Herder-Verlag) den zweiten Preis. Der dritte Preis wurde an Bernd Mölck-Tassel für Wir Menschen (Verlag Jacoby & Stuart) vergeben. Den Förderpreis erhält schließlich Nina Maria Drangmeister für ihre Illustrationen zu Rilkes Panther. Die unabhängige Kinderjury, die sich aus Drittklässlern Troisdorfer Grundschulen zusammensetzte, wählte als ihren Favoriten das Buch Was macht ihr denn da? von Alexandra Prischedko (Edition Bracklo). Mit „wenigen, immer wiederkehrenden Farben und kolorierten Umrisszeichnungen erschafft Sabine Kranz einen Tiger mit eher katzenähnlichem Äußeren, der angeblich in Bens Rucksack wohnt. Doch sehen wir als Leser*innen den Tiger immer wieder – und zwar außerhalb des Rucksacks …“, so beginnt die verheißungsvolle Begründung der Jury für den ersten Preis, die weiterhin Ästhetik und Phantasie anregende Deutungsoffenheit der Umsetzung durch die Illustratorin lobt und hervorhebt.

(André Schinkel/Pressemitteilung)

Mi, 28.06.2023

Das Seestück "Nach dem Sturm 2" von Klaus Raasch.

Bibliophiles des Monats: Die zehn „Seestücke“ von Klaus Raasch

Es ist quasi die Fortsetzung seines Projekts Das Meer. La Mer. The Sea, das eine erste Groß-Serie maritimer Holzschnitte zeitigte: mit seinen Seestücken setzt Klaus Raasch, der renommierte Hamburger Künstler, Drucker und Verleger, mithin Initiator der BuchDruckKunst, die Jahr für Jahr im Frühling Hunderte Grafiker*innen, Buchkünstler*innen, Editierende, Galerien und natürlich und vor allem sich für diese herrlichen Gewerke Interessierenden in die Hansestadt an der Elbe zieht, ein aufregendes Prinzip fort. Letztlich treten der und dem Bibliophilen die Kunstwerke in drei Aggregatzuständen entgegen: als originale Abzüge, Druckstöcke und, für den etwas kleineren Etat, in Form eines, nach Das Meer, zweiten Werkbuchs, verlegt in der Edition Klaus Raasch

Die originalen Seestücke bestehen dabei aus zehn hochformatigen Drucken im Format von 22 x 45 Zentimetern, gedruckt auf Bütten Alt Bern in der Größe von 30 x 53 Zentimeter, und sind in einer handgefertigten Leinenmappe, die mit einem weiteren originalen Holzschnitt bedruckt ist, zusammengefasst. Die Gesamtauflage der Holzschnitte beträgt vierzig nummerierte und signierte Exemplare, davon gibt es die ersten fünfzehn Exemplare nur als komplette Folge. Der Preis für das Gesamt-Bundle der originalen Seestücke mit insgesamt dreizehn Blättern beträgt 1.800 Euro. Einzelblätter gibt der Künstler auf Anfrage ebenfalls ab. Interessant ist dabei Raaschs Arbeitsweise:

Als Grundlage dient Kiefernsperrholz, das vor dem Drucken auseinandergesägt und wie bei einem Puzzle neu angeordnet und kombiniert, ineinandergefügt wird. Die interessante Maserung des Holzes wird dabei bewusst in die Gestaltung einbezogen, das Ergebnis sind äußerst effektvolle und hochgradig farbintensive Produkte. Neben den traditionellen Holzschneide-Werkzeugen kommen auch weniger konventionelle zum Einsatz. In mehreren Druckgängen werden von den Stöcken die Motive abgezogen; von feinster bis zu expressiver Farbgebung ist alles dabei. Die Farben mischt Raasch dafür selbst an, das Drucken in vielen Schichten ermöglicht grazile Farbnuancierung

Als Ausgabe für den täglichen Gebrauch dient das Werkbuch, in Raaschs Edition für 18 Euro (2., überarbeitete Auflage. 80 Seiten im Hochformat von 29,7 x 21 Zentimeter, 150 g/qm Naturpapier, Fadenheftung, Broschur) zu haben. „Anschaulich wird die Entstehung der Grafikfolge Seestücke beschrieben. Abgebildet sind nicht nur alle zehn Farbholzschnitte, sondern auch die Collagen aus den eingefärbten Hölzern, die eine ganz eigene Sinnlichkeit haben und die von Sammlern sehr geschätzt werden“, so der Künstler. Eine wundersame Folge, in der man sich, sei es im Original oder im handlichen Format samt Zusatzmaterialien, wieder und wieder versenken und verlieren mag.  

(André Schinkel)

Fr, 23.06.2023

Soeben erschienen: Heft 249 der "Marginalien", hier incl. der Grafik von K.-G. Hirsch. | © Till Schröder

Marginalien 249 erschienen

Aufbruch, Neuvorlage, Wiederholung: Das Beginnen, das Neuanfangen ... und der Umgang damit stehen, wie Chefredakteur Till Schröder bereits im Editorial der druckfrischen Ausgabe 249 der Marginalien hinweist, manchmal gewollt, zuweilen unfreiwillig als Motto und Tenor über vielen Aufsätzen, Rezensionen und sonstigen Beiträgen des 2023er Sommer-Heftes der Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophile der Pirckheimer-Gesellschaft. Ernst Falk untersucht den Werdegang der Petersburg Press, während Rainer Stamm den Spuren Kurt Freyers von Berlin nach Israel folgt und Renate Reschke Kunst und Verdienste Ruth Tesmars würdigt. Als Fundsache präsentiert Roland Jaeger die wechselvolle Historie des foto-auges, und Harald Kretzschmar schreibt im ABC der Druckkunst über seine Passion für den Siebdruck. Jens-Fietje Dwars beleuchtet in seinem Nachruf die große Wirkung und Nachwirkung der publizistischen Arbeit (Außer der Reihe, Janus Press) von Gerhard Wolf, der im Februar dieses Jahres starb. Auch der Rezensionsteil ist mit Norbert Grewe, Elke Lang, Ernst Braun, Jürgen Engler und Ekkehard Schulreich kenntnisvoll und hochkarätig besetzt. Es wird zum 50. Jahrestreffen der Pirckheimer, das vom 22. bis 24.09. unter der organisatorischen Obhut von Peter Arlt in Gotha stattfinden wird, geladen. Als originalgrafischer Bonus kommt der Holzschnitt Engel von Karl-Georg Hirsch zu den Mitgliedern der Gesellschaft. Mit Gerhard Rechlin ehrt ein jahrzehntelanger Sammer und Kenner den Meister Hirsch zudem zum 85. Geburtstag mit der Bibliografie des buchgrafischen Werks KGHs von 2008 bis 2022. Ja, und da das Faible für Hirschens Kunst ungebrochen groß ist, steht sie auch online auf dieser Seite allen Interessierten und den akribischen Sammlern und Freunden des Grafikers hier zur Verfügung.

(André Schinkel)

Do, 01.06.2023

"Hamburger Bothe 16", die Ausgabe für Juni 2023.

Hamburger Bothe 16 erschienen

Einen nicht nur kleinen Leipzig-Schwerpunkt hat die ganz frische, die Ausgabe für den Juni des Hamburger Bothen, deren Erscheinen die Herausgeber Rudolf Angeli und Peter Engel soeben anzeigten. Die Publikation, die von der norddeutschen Fraktion der Pirckheimer-Gesellschaft mittlerweile in den vollständigen Geltungsbereich der PG hineinwirkt, hat dafür illustre Gast-Autorinnen und -Autoren gewinnen können. So schreibt Pirckheimer-Freund Thomas Glöß über den Leipziger Bibliophilen-Abend, eine der traditionsreichsten Gesellschaften, Buchkunst und Grafik betreffend, in Deutschland, deren Vorstandsvorsitzender Glöß zugleich ist. Zudem berichten Julia Penndorf und Urte von Maltzahn-Lietz von den Aktivitäten der „augen:falter“, einer in der Pleißestadt beheimateten Künstlerinnen-Gruppe, die erst kürzlich mit sieben zweifarbigen Linolschnitten als Beilagen der Marginalien, der Zeitschrift der Pirckheimer, eine ganze Riege Sammler glücklich machte. Pirckheimer-Freund Norbert Schüßler aus Aschaffenburg berichtet vom Entstehen seiner Sammlung an Künstlerbüchern und widmet sich dabei besonders einem so bestechenden Holzschneider wie Frank Eißner, der heute im Mainfränkischen lebt, aber auch im Ursprung ein Leipziger ist. Auch die bibliophile Empfehlung richtet sich nach Lipsia aus und feiert einen Erich-Mühsam-Band, erschienen in der Reihe Die Graphischen Bücher bei Faber & Faber. An neuen Texten verweist die Ausgabe 16 des Bothen auf Wolfgang Denkel, der am 14. Juni in Hamburg liest, und Urs Heftrich, dessen Gedichte zweisprachig bei Angeli & Engel erschienen. Nach der feinen Ausgabe zur BuchDruckKunst eine rundum gelungene Nummer des Journals, für alle Interessenten unter der Mailadresse Rudolf_Angeli@web.de erhältlich, PG-Mitglieder erhalten sie automatisch. Und auf Anfrage wird der Hamburger Bothe auch in Papierform versandt.

(André Schinkel/Pressemitteilung)

Mi, 31.05.2023

Bereits zum zweiten Mal arbeiteten Helmut Brade und Fritz Puschendorf in "Wer ist wer?", das regulär und in einer Vorzugsausgabe erschien, zusammen.
S. 22/23: das Doppelporträt der Malerin Frida Kahlo.
S. 44/45: Auch Barockriese Bach wurde porträtiert.

Bibliophiles des Monats II: „Wer ist wer?“ – Porträts von Helmut Brade und Fritz Puschendorf

Es ist die zweite Zusammenarbeit – begonnen haben Helmut Brade und Fritz Puschendorf mit einem Tieralphabet, das es zu Radioehren und es bis ins Klingspor-Museum unter die Schönsten Bücher brachte, seit einiger Zeit liegt nun Wer ist wer? in einer regulären und Vorzugsausgabe vor. Darin porträtieren der 85-jährige, weit über die Grenzen Mitteldeutschlands bekannte Plakat- und Bühnenbildkünstler Brade und der 17-jährige Puschendorf Größen der Kulturgeschichte, auch die Mona Lisa ist dabei und ein fernöstlicher Mönch, die Riesen Bach, Klopstock, Goethe, Gleim, Schiller, Herder, Albert Einstein, Bob Dylan, ferner Liszt und Winckelmann und die dem Projekt einerseits als Künstlerfreundin ... und andererseits als Mutter zugewandte Meisterin der Kaltnadel, Claudia Berg, die für die Publikation des Projekts zugleich als Mitherausgeberin fungiert. 

Auf 64 Seiten präsentieren Brade und Puschendorf ihre jeweiligen Sichten – immer stehen die Porträts sich auf einer Doppelseite gegenüber, sodass man den direkten Vergleich im Zugriff der beiden Künstler auf die Vorlage hat. Auch die mexikanische Malerinnenlegende Frida Kahlo fand so Eingang in die Folge, ebenso wie Sigmund Freud. Am Ende des Büchleins, das ungefähr im handlichen DIN-A5-Format daherkommt und an dessen Gestaltung neben Helmut Brade selbst der hallesche und nun im Saalekreis lebende Papierkünstler Andreas Richter beteiligt ist, gibt es eine wiederum alphabetische Liste der Persönlichkeiten, die über das einfach zu handhabende, in Rot abgesetzte Seitenregister eindeutig zugewiesen und so leicht zu finden wie zuzuordnen sind. 

Das Büchlein mit den Zeichnungen von Fritz Puschendorf und Helmut Brade erscheint in einer durchnummerierten und signierten Auflage von 300 Exemplaren samt 30 Vorzugsausgaben im Schuber und mit jeweils einer Zeichnung der Künstler – aufgrund der Verwurzelung des Projektes in der Saalestadt Halle wird diese jeweils ein Porträt des größten Sohnes der Stadt, Komponist Georg Friedrich Händel, abbilden. Die Normalausgabe von Wer ist Wer? soll 10 Euro kosten, die Vorzugsausgabe 60 Euro. Interessen für das Büchlein in einem der Formate melden sich bitte unter der Mailadresse von Mitherausgeberin Claudia Berg: c.berg.grafik@t-online.de.

Am 3. Juni wird Wer ist wer? gemeinsam mit dem neuen Katalog der Radierkünstlerin in der Galerie von Erik Bausmann (Martha-Brautzsch-Straße 13, 06108 Halle an der Saale) präsentiert, es sind alle Beteiligten anwesend, es spricht Maître Brade zum Anlass. Die Veranstaltung beginnt um 14 Uhr. Abschließend seien die beiden Künstler aus den kleinen Präambeln zur Publikation zitiert – Helmut Brade: „Es macht einfach Spaß, zusammen zu zeichnen, ganz alt­modisch auf Papier mit Feder und schwarzer Tusche. Und da wir schon Tiere gezeichnet haben, was lag da näher, auch ein­mal Menschen zu zeichnen []. Zu jeder Zeichnung gehört auch die Beschäftigung mit der gezeichne­ten Persönlichkeit; und das ist eine schöne Form gemeinschaft­licher Aneignung, gewissermaßen als Fußnote zum Portrait.“ Und Fritz Puschendorf pflichtet bei: „Als Helmut und ich wieder angefangen haben zu zeichnen, wussten wir zuerst nicht, wo das Ganze hinführt. Vor kurzem jedoch hatte er die Idee, aus diesen Zeichnungen ein kleines Heft zu machen, worüber ich mich sehr gefreut habe …“ Das Ergebnis dieses kollegialen Unterfangens liegt nun als Büchlein vor.

(André Schinkel)