Pirckheimer-Blog

Rezension

Di, 12.09.2023

"Wovon man spricht, das hat man nicht", erschienen als Jahresgabe der PG im Mitteldeutschen Verlag.
Das Grab des geehrten Dichters der Frühromantik in Weißenfels. | © by Doris Antony (via CC BY-SA 3.0)
Der Autor und Kritiker Albrecht Franke aus Stendal.

Forever Young, oder: Niemals alt. Ein Buch für den Dichter Novalis

Für Novalis (Georg Philipp Friedrich von Hardenberg), einen der wichtigsten Romantiker und Erfinder der „Blauen Blume“ (1772–1801), könnte das fast [nach dem ikonischen Alphaville-Song/ Album von 1984] zum Klischee gewordene „Forever Young“ gelten. Er ist im Gedächtnis geblieben als der junge Mann, als den ihn das berühmte Porträt zeigt. Dabei klingen seine Texte, denken wir nur an die Hymnen an die Nacht oder den Roman Heinrich von Ofterdingen, immer gewichtig, geprägt wie von Altersweisheit. Dennoch benannte sich in den 1970er Jahren eine Rockband nach ihm, setzte seine Verse in Musik, zum Beispiel jenes berühmte Wenn nicht mehr Zahlen und Figuren … Immer wieder erweist sich der trotz seines fragmentarischen, seltsam rauen und zerspaltenen Werkes Frühvollendete als Stichwortgeber und Anreger für die Gegenwart.

Das geschah auch 2022. Es galt, an den 250. Geburtstag des Dichters zu erinnern. Darum baten das Literaturhaus Halle und dessen Leiter, Alexander Suckel, „befreundete Kolleginnen und Kollegen, Gäste des LHH in den letzten Jahren … Texte, zu verfassen.“ Ziel sei eine Auslotung des „Kosmos“ Novalis, indem seine Poetik von unterschiedlichen Stimmen sozusagen ins Heute transponiert würde. Der thematische Ansatz „Wovon man spricht, das hat man nicht“ zeigt die ironische Seite Novalis’, denn in den Dialogen [postum 1802], woher das Zitat stammt, sprechen die Gesprächspartner vom Wein und vom Verstand. Das Vorwort führt den Leser instruktiv ins Buch ein, erklärt, in Anlehnung an Bert Brechts eigentümliches Gedicht Die Teppichweber von Kujan-Bulak ehren Lenin [1929, zuletzt in den Ausgaben der Kalendergeschichten ab 1949], dass die Autoren sich ebenfalls nützten, indem sie Novalis ehren, wie einst die Teppichweber Lenin. 

Die Autoren, man kann sich über sie am Ende des Buches informieren, sind in der Reihenfolge ihres Auftritts: Karl-Heinz Ott, Clemens Meyer, Jens Jessen, Torsten Schulz, Martin Becker und Greta Taubert, Eike Goreczka und Katrin Schumacher. Damit sind verschiedene Genres und Herangehensweisen, Ausdeutungen, Bezüge garantiert, die ein abwechslungsreiches Lesevergnügen bescheren. Vergnüglich auch der wie in Schreibschrift gehaltene Novalis-Bezug, dem Erzählung, Essay, Reminiszenz usw. folgen. Nur am Buchende wird das Prinzip einmal durchbrochen, indem (aus dem Kunstprojekt Gast – Portrait – Antwort des Literaturhauses) eine Radierung von Sven Großkreutz mit einem kurzen Text von Katrin Schumacher „beantwortet“ wird – es ist dies eine der schärfsten, prägnantesten „Begegnungen“ mit Novalis, deren Zeuge man im Buch werden kann.

Man sollte dieses Buch nicht lesen, wie man sonst liest. Ich empfehle, das Inhaltsverzeichnis aufzuschlagen und sich von den Titeln der Beiträge gefangen nehmen und in eine romantisierte und poetisierte Welt führen zu lassen: Zu Krautrock und Hydrogeologie, um in Erinnerungen an die Band Novalis zu gleiten. Durch eine Verklärte Nacht zu fahren, in einer seltsamen Kutsche, wo aus einem Tintenklecks doch noch die Blaue Blume wird. Dann eine Liebeserklärung an Novalis zu lesen, die nicht dem hübschen jungen Mann gilt, sondern einem Dichter, dem wir eine „Entlarvung Goethes“ verdanken. Man kann nachempfinden, wie sich einem heutigen Schriftsteller Zugänge zu Novalis erschlossen oder von einer sehr gut zu lesenden philosophischen und literarischen Ausdeutung Novalis’ bereichert werden, obwohl deren Titel vom Nichtssuchen, sattem Herzen und leerer Welt spricht. Oder ganz in der Gegenwart ankommen beim Heimischwerden und doch sehnsuchtsvoll Fremdbleiben einer Familie, die vor dem Krieg in der Ukraine geflohen ist, deren Begleiter man als Leser wird. 

Und: Die Notwendigkeit der „Poetisierung“ vorgeführt zu bekommen und begreifen zu lernen; Worte zu lesen, die man sich angesichts eines desolaten Welt- und Umweltzustands ins Notizbuch übertragen sollte: „Mit der Poesie können wir in der Trauer um das Aussterben die Freude an der Lebendigkeit entdecken. […] Mit dem poetischen Blick können wir diese große Liebesbeziehung wahrnehmen, sie ästhetisieren und zelebrieren – und uns damit für die bevorstehende Traurigkeits-epidemie rüsten.“ Das hätte wohl auch Novalis unterschrieben und vielleicht sein Siegel darunter gesetzt. Es lohnt sich der Besuch in der Novalis-Welt und der seiner Nachfolger, die seine Gedanken aufnehmen und zeigen, dass sie alles andere als „längst vergangen“ sind, sondern wie gemacht für uns und die Gegenwart. Die Blaue Blume der Romantik wird genauso wenig alt wie ihr Erfinder. 

Das Buch ist von einer Schönheit der Buchgestaltung, wie sie leider selten geworden ist heutzutage. Man bekommt die Blaue Blume zu fühlen, wenn man es in die Hand nimmt. Denn die Buchdeckel sind davon übersät. Doch damit nicht genug: Der hallesche Grafiker und Maler Sven Großkreutz schuf eine Radierung von Novalis, die man auf der Seite 108 findet. Und es liegt dem Buch ein weiteres Novalis-Motiv des Künstlers als Originalabzug bei, als Jahresgabe der Pirckheimer-Gesellschaft. Diese liebt, so ihr Leitgedanke, Bücher und Graphiken ... alles, was schön ist. Mit diesem Buch hat sie sich selbst, den Romantikbegeisterten, jedem Bücherfreund ein Geschenk gemacht. (Wovon man spricht, das hat man nicht. Neue Texte zu Novalis, hrsg. vom Literaturhaus Halle, für die Mitglieder der Pirckheimer-Gesellschaft mit einer Radierung von Sven Großkreutz. Halle: Mitteldeutscher Verlag 2023, Hardcovereinband, 114 S., ISBN 978-3-96311-752-7, 16 Euro.)

(Albrecht Franke)

Do, 29.03.2012

Heidrun Hegewald

Der 75. Geburtstag von Heidrun Hegewald am 21. Oktober 2011 gab Anlaß, in ihrem gerade erschienenen Buch mit dem von Marivaux entliehenen Titel Ich bin, was mir geschieht zu lesen, und die Lektüre fesselte. Bei diesem, vom Verlag Neues Leben als Biographie bezeichneten Titel handelt es sich um eine Sammlung publizistischer Arbeiten der Malerin aus den letzten 20 Jahren, wobei den Texten schwarzweiße Abbildungen ihrer Werke beigefügt sind. Das Büchlein, 160 Seiten im Oktavformat zum Preis von 9,95 Euro, wurde auf 120gr Offsetpapier im Digitaldruck produziert und ist ordentlich in einem von Michael de Maizière gestalteten festen Pappband gebunden. Man nimmt es gern in die Hand. Allerdings setzt der an sich richtig vorangestellte Hinweis des Verlages: »Die Abbildung der Arbeiten von Heidrun Hegewald … folgt keiner illustrativen Absicht. Assoziation ist hoffentlich unvermeidlich«, etwas voraus, was das Buch gar nicht halten kann, denn die Bildchen, und das soll meine einzige Kritik an diesem Bändchen sein, sind leider teilweise recht klein geraten und werden weder der tatsächlichen Größe der Arbeiten noch dem geradezu philosophischen Gehalt der Texte gerecht.
Die Texte der Heidrun Hegewald erklären mit dem scharfen Blick einer Rosa Luxemburg die spätkapitalistische Wirklichkeit und beschreiben gleichzeitig mit den Augen einer Malerin voller Poesie mecklenburgische Landschaften und menschliches Miteinander. Ein gleichsam humanistisch analysierendes wie von Farben und Formen inspiriertes Schauen. Die Notate und Reden zeigen nochmals deutlich, daß sich Heidrun Hegewald neben ihrer Passion als Malerin auch als Schriftstellerin profiliert hat, was vielen, ich gestehe auch mir, lange Zeit verborgen geblieben ist. Diese Lücke schließt das Buch in beeindruckender Weise, indem es teilhaben läßt am Werden einer Künstlerin, die mit dem Trauma des Faschismus aus ihrer Kindheit in der DDR zur Künstlerin wurde und jetzt mit wachem Blick den bundesdeutschen Osten und das Leben im marktwirtschaftlich bestimmten Europa sieht und beschreibt. Ihre Texte verweisen auf die Perversion der modernen Gesellschaft und auch auf daraus resultierende Verflachung der deutschen Sprache und Alltagskultur. Und sie schreibt das konsequent, teilweise bewußt Konventionen der Rechtschreibung aufbrechend, bis hin zu interessanten Wortschöpfungen wie das von den Genießern des Choriner Musiksommers, die die Musik aus mitgebrachten Proviantkörben umessen.
Genau darin liegt für mich der eigentliche Wert dieser Texte. Es ist nicht das nähere Kennenlernen einer Künstlerin, die mit ihrem Schaffen einen wesentlichen Beitrag zur bildenden Kunst der DDR geleistet hat und auch nicht die Entdeckung der Schriftstellerin Hegewald. Es ist der allen Texten immanente, immer wieder brillant formulierte Aufruf, sich nicht in die bürgerliche Bequemlichkeit eines Vernunft, Menschlichkeit und wirkliche Kunst vergessenden, mediengesteuerten Konsumenten zu ergeben, sondern stets zu schauen, genau hinzuschauen, zu überdenken und ebenso ästhetisch zu genießen, der das Buch für jeden kulturell Interessierten bedeutsam macht.
(ad, MARGINALIEN 205, S. 94)

Di, 08.12.2009

Im Steinbruch lispeln die Schatten

Gestern stellte Xago die Jahresgabe des Berliner Bibliophilen Abends è (BBA) anläßlich eines Adventskaffees bei der Vorsitzenden der è Goethe-Gesellschaft Berlin, Frau Beate Schubert, vor. Bei dieser Gabe, die Interessierte bereits am Stand des BBA auf der LiberBerlin in Augenschein nehmen konnten, handelt es sich um ein Künstlerbuch über Armenien Im Steinbruch lispeln die Schatten.
Das von Xago geschaffene, im Frontispiz handkolerierte und mit einer individuellen Einbandzeichnung versehene Buch wurde bei Harald Weller (Kreuzberg) in einer Auflage von 15/85 Exemplaren gedruckt und von Ralf Liersch (Prenzlauer Berg) in drei verschiedenfarbigen Einbandvarianten mit Lederrücken gebunden und enthält im hinteren Deckel eingelegt einen weiteren Druck, ein Märchenbuch mit dem Titel Vom Hahn und dem König.
Es gelang dem BBA wieder einmal, seine Mitglieder mit einer bibliophilen Kostbarkeit zu beglücken.

REZENSION von Wolfgang Wicht
(Vorabveröffentlichung aus MARGINALEN 197, Auslieferung März 2010)
Neben Xago, den Maler, stellt sich Xago, der Dichter. Den Kopf voller Worte und Widerworte bringt er metaphorisch reiche, Welt kommentierende, geistvolle, poetisch verknappte, originelle Verse zu Papier ... mehr

Mo, 02.03.2009

Bibliographie der Büchergilde Gutenberg

Bibliographie 1924 bis 1933 mit allen bekannten Auflagen und Einbandvarianten

In seinem Katalog 155 stellt unser Mitglied Frank Albrecht nicht nur eine Reihe von Büchern aus dem Nachlaß des Künstlers und Schriftstellers Rolf Schott vor - die Freunde und Sammler der Büchergilde Gutenberg finden in diesem Katalog auch eine vollständige Bibliographie der Büchergilde von 1924 bis 1933.

Dieser Katalog ist als PDF (2 MB) online abzurufen (klick
è
hier). In der Online-Variante sind viele Abbildungen farbig. Gegen eine Schutzgebühr von 5.- € kann man auch einen gedruckten Katalog beziehen, hier sind die Abbildungen jedoch schwarz/weiß.
Mozartstrasse 62
69198 Schriesheim
REZENSION

Einen Antiquariatskatalog zu rezensieren, ist schon etwas ungewöhnlich, aber vielleicht macht ein Satz aus dem Internet dieses Ansinnen verständlicher: „Antiquariatskataloge enthalten mitunter wahre Schätze, das ist hinlänglich bekannt. Es gibt aber auch Kataloge …, die sind von sich aus schon ein solcher Schatz.“ Diese Worte auf Szyllas Lesezeichen beziehen sich auf den Antiquariatskatalog 155, der weit-aus mehr ist als nur ein Angebot antiquarischer Bücher: Endlich liegt uns mit ihm eine vollständige Bibliographie der Büchergilde Gutenberg bis 1933 vor, eine längst überfällige Arbeit, die unser Mitglied, der Antiquar und Verleger Frank Albrecht, geleistet hat. Wie sehr Sammler auf diese Bibliographie gewartet haben, zeigt sich daran, daß bereits wenige Stun-den nach Veröffentlichung eines Hinweises auf den Katalog auf unserer Internetseite dazu Nachfragen eintrafen.
__ Diese Bibliographie wird für manchen Sammler Anlaß sein, sich wieder einmal näher mit der verdienstvollen Büchergilde Gutenberg zu beschäftigen, die in verlegerisch und buchkünstlerisch anspruchsvollen Ausgaben, teilweise Erstausgaben, Autoren wie Jack London, B. Traven oder Martin Andersen Nexö für Leser der unteren Bevölkerungsschichten bereitstellte. Sie enthält wertvolle Hinweise auf ungenaue Angaben zu Erscheinungsjahr und Auflage einzelner Ausgaben, auch wenn mitunter ungeklärt bleiben muß, ob es sich bei bestimmten Varianten eines Buches um eine Neuauflage oder lediglich um eine neue Bindequote handelt. Besonders verdienstvoll sind zahlreiche Hinweise auf Varianten, die bislang in einschlägigen Darstellungen, wie
Britta Friedsam, Das illustrierte literarische Gebrauchsbuch bei der Büchergilde Gutenberg (2008) oder Bernadette Scholl, Die Büchergilde Gutenberg 1924-1933 (in: Buchhan-delsgeschichte 1983, Nr. 3), noch nicht katalogisiert sind.
__ Der Katalog 155 enthält nicht nur die Bibliographie, sondern neben einem Angebot lieferbarer Titel der Büchergilde auch Bücher aus dem Nachlaß des Künstlers und Schriftstellers Rolf Schott. Damit führt Frank Albrecht eine Reihe von Katalogen fort, die sich mit Einbandgestaltung des 20. Jahrhunderts, Georg Salter, der Reihe Der jüngste Tag, russischer Avant-garde und anderen interessanten Themen beschäftigen und von denen jeder für sich eine Besprechung in den MARGINALIEN wert wäre. Die Kataloge und damit auch die Bibliographie der Büchergilde Gutenberg sind nicht nur gedruckt erhältlich, sondern kostenlos
online abrufbar, die Bibliographie ist online sogar mit Farbabbildungen zu betrachten, während die Printausgabe nur in Schwarzweiß gedruckt ist.
__ Obwohl ich weiß, daß der Autor als langjähriger Sammler, Liebhaber der Büchergilde Gutenberg und Antiquar gründlich und gewissenhaft recherchiert hat, wird es trotzdem für den Sammler eine Herausforderung sein, eine nicht in diesem Katalog beschriebene Ausgabe zu finden und sie dem Bibliographen zu präsentieren. Mit dem ersten Fundstück wäre eine zweite Ausgabe der Bibliographie begonnen, die eventuell nicht nur als Bestandteil eines Antiquariatskatalogs erscheint.
Abel Doering
(Vorabdruck aus
MARGINALIEN 194, 2/2009)

ANMERKUNG (22.4.2009)
Da mein erster Katalog zur Büchergilde hier auf einiges Interesse gestoßen ist, kurz der Hinweis, daß nun der zweite Katalog erschienen ist: "Die Büchergilde im Exil sowie Neueingänge". Diesmal enthält der Katalog jedoch nicht eine vollständige Bibliographie sondern nur meine Bestände der Büchergilde für den Zeitraum 1933 bis 1949, es sind aber immerhin wieder 217 Bände, die ausführlich beschrieben und abgebildet sind.
Sie können den Katalog wieder unter
www.antiquariat.com als Pdf kostenlos herunterladen.
(Frank Albrecht)

Do, 27.11.2008

Handbuch für den Buch- und Grafiksammler

von Arnulf Liebing

Ausgehend von seiner langen Erfahrung als Sammler und Antiquar untersucht der Autor kritisch, welche Vor- und Nachteile für den Sammler aus der Wandlung des Marktes in den letzten Jahren entstanden sind. Dabei verliert er die eigentlichen Objekte, die Bücher und Grafiken, nicht aus den Augen, sondern beschreibt liebevoll viele Details. Nur hat sich eben teilweise der Blickwinkel etwas geändert. So wird beispielsweise gezeigt, wie moderne Computersatzprogramme Techniken anwenden, die Gutenberg erfand - und die scheinbar längst vergessen waren. Oder es wird einer Betrachtung unterzogen, wie durch den Internethandel ein neues Recht für Käufe entstand. Der Autor versucht, bei aller Liebe zum konservativen Sammeln, die neuen elektronischen Techniken dem Sammler näher zu bringen und aufzuzeigen, dass man sich deren Komplexität kaum entziehen kann.

è Königshausen u. Neumann
168 Seiten mit zahlreichen Abbildungen,
16 Farbtafeln und Begleit-CD.
Hardcover-Pappband m. Fadenheftung,
€ 34,80 CHF 60,90
ISBN 978-3-8260-3751-1


è Bücher-Sammler

REZENSION

Wahrscheinlich geht den meisten Bücherfreunden zuerst der Gedanke durch den Kopf: Wieder eine Anleitung zum Sammeln von Büchern und Graphik! Wer seit Jahrzehnten als Bibliophile in Antiquariaten oder Auktionshäusern, auf Trödelmärkten und Graphikmärkten unterwegs ist, wird denken, solch ein Handbuch kann eigentlich nicht viel Neues bringen. Man hat seine Erfahrungen gemacht oder machen müssen und kennt die einschlägigen Bücher, in denen alles gesagt ist.
__ Daß man sich hier im Irrtum befindet, wird einem schnell bewußt. Der Computer hat eben nicht nur traditionelle Techniken der Buchherstellung abgelöst (das Objekt der Begierde ist, wenn es heute entsteht, nicht mehr dasselbe wie früher), sondern das Internet hat in den letzten Jahren auch das Sammeln stark beeinflußt und „vielleicht trivialer gemacht“, wie der Autor bereits im Vorwort feststellt (S. 7). Diesen Aspekt aus dem Auge zu lassen, wäre für das Sammeln genauso schädlich wie die Vernachlässigung von modernen Recherchemethoden oder das Ignorieren von Rechtsfragen.
__ Der Autor Arnulf Liebing ist selbst Sammler und hat als Antiquar in langjähriger Praxis Erfahrungen mit dem Wandel des von ihm beschriebenen Metiers gemacht. Der Inhalt des Handbuches erstreckt sich von ausführlichen Hinweisen zu Typographie, Illustration, Papier und Einband über Sammelobjekte, wie Pressendrucke und Exlibris, Untersuchungen über den Antiquariatsmarkt und das Internet bis hin zu Fragen des Rechts. Neben einem Verzeichnis wichtiger Fachbegriffe im Anhang ist auch der gesamte Inhalt übersichtlich gegliedert, so daß einzelne Beiträge nachgeschlagen und separat gelesen werden können. Die Abbildungen im Handbuch sind nicht nur ansprechend und machen Lust auf das Sammeln, sie sind häufig auch notwendige Bildbeispiele für die textlichen Erläuterungen, zum Beispiel um den Unterschied einer Originalschrift in 17 Punkt zu einer Schrift aufzuzeigen, die von 10 auf 17 Punkt skaliert wurde (S. 41). 16 Farbtafeln auf Kunstdruckpapier im Anhang geben nochmals einen schönen Einblick in die Welt des guten Drucks.
__ Das Buch beschäftigt sich nach kurzen Ausflügen in Geschichte des Buchdrucks und Grundlagenwissen zunehmend mit aktuellen Fragen. Insbesondere in Betrachtungen zu zeitgenössischen Entwicklungen wie dem Internethandel und den daraus erwachsenden rechtlichen Problemen konnte der Autor aus langen Diskussionen, die vornehmlich unter Antiquaren geführt wurden, schöpfen – ich nahm daran teil und fand im Handbuch treffende Zusammenfassungen. Gerade diese Abschnitte machen auch den Wert des Buches für den gestandenen Sammler aus, hier finden sich wichtige Fakten, die für zeitgemäßes Sammeln nicht mehr ignoriert werden können, denn es werden die wesentlichen Methoden, die die modernen Medien dem Sammler bieten, vorgestellt und mit ihren Vor- und Nachteilen sowie eventuellen juristischen Fallstricken erläutert. Völlig vernachlässigt dagegen werden leider im Buch die Vereinigungen von Bücherfreunden, der Gedankenaustausch und die bibliophilen Zusammenkünfte, die für viele Sammler ihre Passion erst abrunden. Offensichtlich entspricht dieser Aspekt des Sammelns nicht der Intention des Autors. Ich hätte mir im Handbuch einen deutlichen Hinweis oder eine Übersicht über diese Vereinigungen gewünscht. Zumindest hätte sich eine Linkliste angeboten – gerade, um einem „jungen Sammler“ den Weg zu Gleichgesinnten aufzuzeigen. So wird der bibliophil Interessierte nicht durch das Handbuch, sondern erst durch die im Buch angeregten Recherchemöglichkeiten im World Wide Web auf diese Gesellschaften aufmerksam werden.
__ Das Buch hat eine seinem Inhalt entsprechende solide Aufmachung: einen stabilen, glatten Pappeinband und (es gibt sie noch!) Fadenheftung. Beigelegt ist dem Buch eine CD, die neben nützlichen Links auch die Demonstrationsversion der von Liebig entwickelten Sammlersoftware PALplus enthält. Viele Bücherfreunde kennen und nutzen diese Software zum Katalogisieren der eigenen Bibliothek. Sie wir auch im Textteil vorgestellt. Bedauerlicherweise ist die CD innen auf dem hinteren Deckel eingeklebt, so daß das Vorsatzpapier bei der Entnahme leicht beschädigt werden kann. Diese CD erhebt leider nicht den Anspruch auf Vollständigkeit und eine Aufzählung von gerade mal drei (!) Bibliophilengesellschaften und sage und schreibe acht (!) Antiquariaten in Deutschland und in der Schweiz ist nicht nur unvollständig, sondern letztlich überflüssig. Der Autor verweist darauf, daß die Links „nach einer ganz persönlichen, individuellen Auswahl“ aufgenommen wurden. Sehr zu begrüßen ist dagegen, daß sich auf der CD alle wichtigen Recherchemöglichkeiten, wie Links zu Bibliographien und Katalogen wiederfinden, sowie ein nützliches „ergänzbares Wörterbuch“ mit gebräuchlichen Abkürzungen, welches man beim Suchen auf dem Rechner im Hintergrund laufen lassen kann.

Abel Doering
(Vorabdruck aus MARGINALIEN 193 / 1, 2009)