Die Bücher, die unter der Ägide von Pirckheimer-Freund Jens-Fietje Dwars im quartus-Verlag in Bucha bei Jena erscheinen, sind ein wenig das Maß für gute Hoffnung heute, dass es nach wie vor schöne Exemplare dieser Spezies der Aufbewahrung von Menschenwissen gibt und: geben soll. Insgesamt vier Reihen hat Dwars im Editionshaus, in dem auch die Marginalien mittlerweile zuhause sind, begründet; und in der Weißen Reihe ist Ende des letzten Jahres bei weitem nicht das erste Buch, aber die erste größere Lyriksammlung von Holger Brülls erschienen, der, promovierter Kunsthistoriker, als Konservator am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Halle tätig ist. Als Wissenschaftler gilt Brülls unter anderem als Koryphäe für religiöse Bauten und Glasmalerei, als Dichter schlägt er einen körnigen und kantigen, gewissermaßen antiromantischen Weg ein: böser garten heißt der Band, der auf knapp 90 Seiten, flankiert von einer Algrafie von Altmeisterin Gerda Lepke auf dem Cover wie dem Frontispiz, blüht und vergeht, sich in Frage stellt und doch die ganze Zeit existiert. So beschreiben es auch die Linernotes auf der Klappe, den Haupttext als String des Buchs paraphrasierend, überaus treffend: „Hass, Wut, Gier, Zorn, alle elementar-irdischen Triebkräfte gedeihen, wuchern in diesem Garten, dieser Welt. Und doch ist sie ein Garten – von eigentümlicher Schönheit. Das Ausleuchten der entzauberten Welt in schnoddrig alltäglicher, bewusst nicht gehobener Sprache, ist eine andere, eine zeitgemäße Sehnsucht nach dem Licht, nach einer Schönheit ohne Schein.“ Nun, in der Tat ist es ein wenig wie in kontemporärer elektronischer Musik: eine Verletzlichkeit, die aus der digitalen Kühle kommt, auf der einen Seite; eine repetitive Kantigkeit, wie sie in manchem EBM-Club der abgewickelten „Blauen Banane“ (den Sound der verloschenen Hochöfen und Fabriken imitierend) nachwummert, auf der anderen. Und doch ist, wie gesagt, dieses Nachsinnen, ja, Nachrufen und nicht zuletzt -raunzen nicht allein kalt, nicht allein zynisch, vielmehr schimmert durch die Krudität der Ära das Mögliche, das mit der Menschenwerk versehen und betan ist, noch hindurch. Noch, und es ist natürlich auch von Enttäuschung die Rede, die diesen Autor, der in seiner Profession dem Schönen anheim ist, das eben von der possiblen Gnade erzählt, zu der Homo sapiens befähigt ist oder war. Und wie von der Scheu: „einmal ging ich durchs haus / belangloses verrichtend / vorbei an drei rücken abends // da fiel mich / aus dem dunkeln / der schrecken / rücklings an // eines tages vielleicht / bin ich in diesem haus / in dem ich niemals / allein war / allein ...“ Spooky ist das, und erschütternd zugleich. Und es zeigt sich eben durch die Geradheit der Worte bleich der Faden dessen, das eben zu ihnen führte. Oder es ist auch alles ganz anders. Gut jedenfalls, dass dieser erste vollständige Band Gedichte von Holger Brülls nun vorliegt. Ja, und gut, dass es Leute wie Dwars gibt, die dafür eine Weiße Reihe erfunden haben.
(André Schinkel)