Pirckheimer-Blog

Bibliophiles des Monats

Sa, 21.09.2024

"W. Pirckheimer": Was für ein schönes Miniaturbuch!

Minibuch „Willibald Pirckheimer“

Das Bibliophile des Monats ist ein Buch, das sich dem Nürnberger Ratsherr, Humanist, Freund des Künstler-Giganten Albrecht Dürer (1471–1528) und endlich Namensgeber unserer Gesellschaft, Willibald Pirckheimer (1470–1530), widmet. Bereits am 12. September konnten die Mitglieder der Berliner Gruppe der Gesellschaft dieses Buch bei ihrer Veranstaltung bestaunen. Das kleine und selbsthergestellte Meisterwerk konnte denn dann auch auf dem 51. Jahrestreffen der Pirckheimer in Magdeburg vom 13. bis zum 15.09. bewundert, begutachtet und natürlich auch erworben werden.

Das Büchlein vermittelt Einblicke in die Zeit, Denk- und Lebensweise des Willibald Pirckheimer, in die Zeit am Ende des fünfzehnten und am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts. Neben seiner Biographie werden auch seine Vorfahren, Geschwister sowie Nachkommen benannt und ihre Lebenswege aufgezeigt. Die Leistung von Willibald Pirckheimer besteht darin, die Bildung und das Bildungsbedürfnis seiner Zeit in sich zu verkörpern. Er verkehrte brieflich mit Martin Luther, war bis zum Tod Dürers mit diesem befreundet und für seine Ära genau so bedeutsam wie die beiden anderen. Das 148-seitige Kleinod ist für 45 Euro (via Mail: heike.haedicke@yahoo.de) zu haben.

Willibald Pirckheimer, Miniaturbuch, in blaues Leder gebunden, mit einer Metallplakette mit dem Bildnis von Willibald Pirckheimer; gefertigt von Heike Haedicke, Buchblock: 50 x 70 mm, 148 pag. Seiten, Lesebändchen, Buchblock: hellblau, Auflage: 50 nummerierte Exemplare, Preis: 45 Euro.

(Heike und Udo Haedicke/Robert Grieger)

Di, 02.07.2024

Friedrich Gottlieb Klopstocks "Der Messias" (1749).

Auf Flügeln des Gesangs: FGK 300

Mitten in dieser Versammlung der Sonnen erhebt sich der Himmel,
Rund, unermeßlich, das Urbild der Welten, die Fülle
Aller sichtbaren Schönheit, die sich, gleich flüchtigen Bächen,
Um ihn, durch den unendlichen Raum nachahmend, ergiesset.
Also dreht er sich, unter dem Ewigen, um sich selber.

Indem er wandelt, ertönen von ihm, auf Flügeln der Winde,
An die Gestade der Sonnen die sphärischen Harmonien
Hoch hinüber. Die Lieder der göttlichen Harfenspieler
Schallen mit Macht, wie beseelend, darein. Dieß vereinbarte Tönen
Führt vorm unsterblichen Hörer manch hohes Loblied vorüber.

Was für ein Auftakt, der sich in diesem ersten Gesang von Klopstocks Messias aus dem Lodern der Empfindsamkeit in die erhabene Größe der Aufklärung biegt! Nun, und man vermag es kaum zu fassen, dass dieses Epos um Christus zu den ungelesensten Texten der Weltliteratur zählt. Nun, es spricht nicht mehr mit unseren Lese- und, in dieser Zeit des Bröselns, Sichtgewohnheiten ... aber es ist auch wahr: Mit Klopstock beginnt alles. Ohne seine versfußbefreiende Vorarbeit, ohne die angenommene Würde des freien Schreibers und Sprechers wären die literarischen Großepochen der Klassik und Romantik, die bis heute nachwirken, nicht denkbar. Goethe und Schiller, Hölderlin und Novalis. Und: Bobrowski. Bis heute gibt es Ausgaben FGKs aus originaler Zeit zu erwerben. Vielleicht ist ein kleiner Wettbewerb anzudenken, wer das schönste, zaubrigste Exemplar einer alten Klopstock-Ausgabe auftreibt. Anlass, sich mit ihm zu befassen, ihn mit einem sanften Platz in seiner Sammlung zu würdigen. Am 02.07. vor 300 Jahren wurde Friedrich Gottlieb Klopstock geboren.

(André Schinkel)

Di, 30.04.2024

Die Büchergilde hat "Die Verwandlung" mit vielen kongenialen Blättern Rosy Lilienfelds anlässlich des 100. Todestags Franz Kafkas aufgelegt. Das Resultat ist nichts weniger als eine bibliophile Entdeckung. Die Kohlezeichnungen der Künstlerin, die Vertreterin einer "verschollenen Generation" ist und die 1942 in Auschwitz ermordet wurde, werden hier erstmals vorgelegt. Sie ergänzen den Kafka-Plot frappierend.

Bibliophiles dieses Monats: „Die Verwandlung“ von Franz Kafka

Caminante, son tus huellas / el camino, y nada más … (Machado)

Kafka und kein Ende: Wenn dem vor hundert Jahren im Alter von nur vierzig Jahren Gestorbenen nur der Hauch, ein Krümchen seines Ruhms zu Lebzeiten, wie er ihn (und auch noch gegen seinen Letzten Willen) im Tode traf, erreicht hätte, er hätte sich, Enttäuschung gewohnt, wohl gewundert und vielleicht auch verwahrt. Es ist aber so – Franz Kafkas (1883–1924) Werk ist zum Inbegriff der Verwerfungen des letzten (und wohl auch dieses) Jahrhunderts geworden. Die Verwandlung scheint da, neben den drei fragmentarisch gebliebenen Romanen Kafkas, ein Emblem dieses Erzählers geblieben zu sein; angesichts der großen Weitläufigkeit seines Werks, seiner Meisterschaft auch und vor allem in den kleinen Formen stellen sie letztlich nur das obere Pyramidion seines Wirkens dar.

Dass es so ist, verwundert indes nicht. Mit Das Urteil (1913) und In der Strafkolonie (1919) bildet Die Verwandlung, die 1915 erschien, eine exemplarische Novellen-Trilogie, die das Doppelthema der Unüberwindbarkeit von Instanzen, seien es Väter oder Vorgesetzte und das, was sein Nachgänger Wolfgang Koeppen (1906–1996) später mit dem elementaren Verdiktum „Wir sind von Anbeginn verurteilt“ (so in Jugend von 1976) treffend und schneidend beschrieb, mustergültig vor. Der Plot, in dem vom ersten Satz an das Verhängnis seine (sic!) Fühler ausstreckt, ist Signet und Vademecum einer der Blüten der Literatur der Moderne geworden, hinter dem sich jeweils ein Kosmos eröffnet, der die Gebresten der Existenz aufs Korn und mit buchhalterisch-advokatischer Akkuratesse wie kühler Anteilnahme in den Blick nimmt und damit die bedrückendsten Abgründe erzählt. 

Der Abyss entspringt dabei und fällt in die Tiefe seiner selbst, aus dem tiefsten Alltag heraus, der die sprichwörtliche Geworfenheit des Menschen, seine Entfremdung und Selbstentfremdung in der Moderne in sich trägt und hinter dem Biedermeier des Funktionierens, Funktionieren-Müssens hervorlugt. Gregor Samsa, der sich für seine saumselige Familie den Arsch aufreißt, findet sich in ein chitinbehängtes Monstrum, nun ... ja ... – verwandelt. Der Rest, wenn auch erst nach dem Tod Franz Kafkas und durch die vermittelnde Arbeit seines Freundes Max Brod (1884–1968), der den zu Kafka-Lebzeiten publizierten Texten den fulminanten Nachlass beigesellte, ist Literaturgeschichte. 

Ein bisschen scheint es auch so, dass im entwickelten Spätkapitalismus nun die Nachzehrer aufwachen und nicht nur das Andenken dieses Erzählers wahren, sondern ja auch einen gediegenen Euro damit machen mögen. Bei der Veröffentlichung von Die Verwandlung, Kafkas bekanntester und auch die Vielgestalt seines übrigen Werks ein wenig verdeckender Erzählung, im Programm der Büchergilde Gutenberg liegt der Fall anders. Dieses Buch ist weniger ob der Wiederauflage der Novelle ... – sondern aufgrund seiner illustrativen Beigabe verdienstvoll, würdig und auch besonders. Und es berührt, wenn man sich eingehend mit der Geschichte des Zustandekommens dieser Kombination des Textes mit den bisher unbekannten Zeichnungen Rosy Lilienfelds befasst.

Eben diese, die Novelle begleitenden Illustrationen sind die Entdeckung der Veröffentlichung der Büchergilde zum Kafka-Jahr, und sie erzählen von einer künstlerisch sowie menschlich aufregenden Wiederherstellung des Wissens um eine bedeutende Grafikerin einer verlorenen Generation. 2022 erstmals wieder in einer Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt zugänglich gemacht, ist das Leben und Werk von Rosy Lilienfeld (1896–1942) einer mehr als überfälligen Rehabilitation zu unterziehen. Die verschollene Künstlerin ist dem Expressionismus zuzurechnen, als Jüdin wurde sie 1942 in Auschwitz ermordet. Über die Umstände des Wiederfindens der kongenialen Arbeiten zu Kafkas Text berichtet in einem Nachwort im Buch die Direktorin des Jüdischen Museums, Dr. Eva Sabrina Atlan. Dort wird am 06. Juni auch die Präsentation von Die Verwandlung stattfinden.

Das Buch, das diese und Kafkas Geschichte in sich trägt, ist inhaltlich wie gestalterisch nichts weniger als ein Ereignis. Die Düsternis beider Linien, der narrativen wie zeichnerischen, verbindet sich hier mit einer hohen bibliophilen Güte, Würde und Kunstfertigkeit, die, auch wenn man das von Gilde gewöhnt sein mag, noch einmal etwas absolut Besonderes hat. Rosy Lilienfeld findet so treffende Bilder für das passive Aufbegehren Gregor Samsas und die sich, nun ja, abkühlende Umgebung seiner Familie, für die er, zum Tier geworden, jetzt völlig nutzlos ist, dass es den Leser und Betrachter schubbert. Und man zugleich die Augen nicht davon lassen kann ... So ist denn diese Neuausgabe der Verwandlung eines der schönsten, ja, und umtreibendsten Bücher der Saison.

Franz Kafka: Die Verwandlung. Mit Illustrationen von Rosy Lilienfeld und einem Nachwort von Eva Sabrina Atlan. Frankfurt am Main: Büchergilde Verlagsgenossenschaft, gebunden, fadengeheftet mit Lesebändchen, Rundumfarbschnitt sowie Prägung, 112 Seiten, ISBN 978-3-76327-471-0, für 28 Euro.

(André Schinkel) 

So, 31.03.2024

"Die vier Jahreszeiten", eben erschienen in Zaumseils Dreier Press – das aktuelle "Bibliophile des Monats".

Bibliophiles des Monats: „Die vier Jahreszeiten“ von Peter Zaumseil

Gemeinhin gilt der Frühling als die schönste und hoffnungsreichste Zeit des Jahres, auch in dieser von der Fäulnis der Abgründe, die im Menschen möglich sind, angeblickten Epoche möge das so bleiben, in der zarten Beblümelung beim Gedanken an die mögliche Auferstehung, die zumindest die Christenheit an diesen Tagen feiert und begeht, zumal. Die Kunst bliebt ein Signet des Humanen wie Schönen dabei, egal, wie schwer und schwierig die Jahre sind, in denen sie, Seismograph des Temporären oder Gegenentwurf in heller oder dunkler Wichtung, entsteht. Grund genug, damit einen Hinwink von Pirckheimer-Freund Uwe Klos aufzunehmen, auf ein neues originalgrafisches Buch von Peter Zaumseil, Künstler- und Landschaftskollege aus den wilden, ja, und im Moment zudem wild begrünten, wie es sein soll, ostthüringischen Hügelländern, hinzuweisen, was hiermit in diesem Blog mit dem Ehrensternchen Bibliophiles des Monats vorgenommen sein soll. Dieses Buch heißt Die vier Jahreszeiten und feiert alle von Wetter und Wind gezeichneten, zuweilen wohl auch gegerbten Quartale des Kalenders. Es erscheint, wie Uwe Klos weiterhin anzeigt, im Jahr des dreißigsten Jubiläums der Peter Zaumseil zueigenen Dreier Press als dessen 25. Druck. Die vier Jahreszeiten enthält 16 Farbholzschnitte des Meisters aus Elsterberg im Vogtland, dazu gesellen sich die Gedichte diverser Lyriker (der Riese Rilke ist dabei ... und der sicher berührendste unter allen lustikken Dichtern, Ringelnatz – man vergleiche jeweils die beiden Doppelseiten aus dem Buch in den Abbildungen) und Lyrikerinnen, insgesamt 14 an der Zahl. Die Texte wurden nach händischen Vorlagen Zaumseils bei Tischendorf in Greiz gedruckt, die Vignetten vom Künstler eigens koloriert; auch die Bindung übernahm Zaumseil selbst. Insgesamt liegt das 30 x 40 cm große Buch in neun regulären und zwei E.A.-Exemplaren vor, der Einband ist zudem mit vier Porzellankacheln mit Kristallglasuren von Ludwig Laser aus Obergeißendorf betan. Das prächtige Werk wurde bei (nach eigenem Statement) Peter Zaumseils letztem Auftritt auf der Leipziger Buchmesse präsentiert und soll auch sein letztes Buch in Auflage sein. Man wünscht indes an der Seite Uwe Klosens gleichsam, dass dem nicht so ist. Denn: Schöne Bücher braucht das Land, das wird immer so sein. Alle Informationen zu Peter Zaumseils Werk und auch dem neuen Buch sowie den Hinweis auf eine im Juni anstehende Ausstellung des Künstlers finden sich auf seiner persönlichen Seite im Internet.

(André Schinkel)

Do, 29.02.2024

Mappe "Saale-Licht" (2023). | © Andrea Ackermann

Bibliophiles des Monats: „Saale-Licht“ von Andrea Ackermann

Auch wenn sie von der Elbe stammt und das wohl auch ihr Fluss bleiben wird, ist die Saale so etwas wie ein Favorit in ihrer Arbeit, lebt doch die in Dresden geborene Andrea Ackermann seit vielen Jahren in der Saale-Metropole Halle: Hier hat sie studiert, hier befindet sich der Mittelpunkt ihres Lebens. Ihre Lehrer an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein waren Ronald Paris (Malerei) und Thomas Rug (Grafik), nach dem Absolvieren der Meisterschülerinnenschaft arbeitet Andrea Ackermann seit Mitte der 2000er Jahre freiberuflich als Malerin und Grafikerin im Nordteil der Innenstadt des gern verkannten Großstädtchens, das mit der Weißen Elster (die hier in die Saale mündet) gleich noch einen elementaren, die mitteldeutschen Landschaften stark prägenden Fluss aufweist. Zu ihrem Werk gehören auch insgesamt acht Grafik- bzw. Text-Grafik-Kassetten, die haben unter anderem Norwegen, Venedig und den Wörlitzer Park zum Thema. Mit Saale-Licht vollendet die Künstlerin gewissermaßen eine Flusstrilogie, die 2015 mit Über dem Fluss begann, seine erste Fortsetzung mit Das innere Delta (2017) hatte und die nun in der Mappe mit sieben Einblättern im Format von 41 x 37 Zentimetern (plus Deckblatt und Signaturen im Impressum) ihren Abschluss findet. Die Texte der Trilogie, die mit Im Park 2019 noch einen Ableger, eine Art Balkonblick zum Welterbe Wörlitz besitzt, stammen von einem der Blogredaktion bekannten Pirckheimer-Freund. In ihrem jeweiligen Aggregatzustand als Neugierige und dem Authentischen Hingegebene näherten sich Künstlerin und Autor den Orten ihrer Erwägung, skizzierten, fingen Atmo ein, formten. Die Gattung des Einblattdrucks schien, gewissermaßen als Ligatur von Bild und Text, dabei das ideale Genre einer Engführung des Erwogenen zu sein. Jedes Blatt, auch wenn ihm innerhalb des Zyklus sein Platz zugewiesen ist, funktioniert auch als eigenständiges Kunstwerk und ist auch so zu haben. Sieben der zwanzig Abzüge der Gesamtauflage sind zu einer Kassette zusammengefasst. Während die Künstlerin den Druck der Radierungen selbst besorgte, fanden die Texte bei Bettina Haller in Chemnitz auf die Bögen. Am heutigen Tag eröffnet Andrea Ackermann an der Seite ihrer Kunstkolleginnen und ehemaligen Mitmeisterschülerinnen Susanne Theumer und Claudia Berg im Forum Altes Rathaus in Borken (der Blog berichtete davon) die gemeinsame Ausstellung Die Tiefe des Grats, die dort bis zum 05. Mai zu sehen sein wird. Und auch auf der am 01.03. öffnenden Grafikbörse in Borken wird Andrea Ackermann mit einem Stand vertreten sein. Alle weiteren Informationen zum Werk der Künstlerin finden sich auf ihrer Webseite im Internet.

(Bert Blaubart)

Mo, 29.01.2024

"Am Rand der Pfütze springt jede Katze anders": das Frontispiz, der Innentitel sowie zwei Vorzugsmotive des Buchs von Herta Müller und Axel Heller – 2023 erschienen bei Thomas Reche in Neumarkt i. d. OPf.

Buch des Monats: Herta Müller · Axel Heller „Am Rand der Pfütze springt jede Katze anders“

An einem Wintertag ging ich mit meiner Mutter drei Kilometer durch den Schnee ins Nachbardorf ein Fuchsfell kaufen für einen Mantelkragen. Der Pelzkragen sollte das Weihnachtsgeschenk meiner Mutter sein. Was für ein würdiges Buch des Monats! Fünf Texte der großen Erzählerin und vielfach geehrten Zeitzeugin Herta Müller: Essays, Notate und die fulminante Nobelpreisrede von 2009 selbst, flankiert von Fotografien Axel Hellers, erschienen als Ausgabe, die jeden bibliophilen Nerd zärtlich in die Träume verfolgt, im Verlag von Thomas Reche in Neumarkt in der Oberpfalz. Das Fell war ein ganzer Fuchs, und es glänzte kupferrot und wie Seide. Es hatte einen Kopf mit Ohren, eine getrocknete Schnauze und an den Füßen die schwarzen getrockneten Pölsterchen der Pfoten mit porzellanweißen Krallen und einen so bauschigen Schwanz, als wär noch der Wind drin. Der Fuchs lebte. Nicht mehr im Wald, aber in seiner konservierten Schönheit. Den in die Tiefe lotenden Exegesen von Herta Müller stehen 37 Fotografien Hellers zur Seite, die zwischen 2005 und 2014 im nordrumänischen Kreis Maramureș entstanden und mithin vom Leben auf dem Balkan wie der Herkunft Müllers berichten. Der Jäger hatte rote Haare wie der Fuchs. Das war mir unheimlich. Vielleicht fragte ich ihn deshalb, ob er ihn selbst geschossen hat. Er sagte, auf Füchse schießt man nicht, Füchse gehen in die Falle. Die Normalausgabe des herrlich-prächtigen Buches erschien in 400 Exemplaren und ist für 48 Euro (ISBN 978-3-947684-11-3) zu haben. Die gesamte Auflage ist signiert. Das alles sollte ein Mantelkragen werden. Ich ging noch zur Schule und wollte nicht wie alte Damen einen ganzen Fuchs mit Kopf und Pfoten am Hals, sondern nur ein Stückchen Fell als Kragen. Weiterhin erschien eine Vorzugsausgabe A (Nr. I bis XL), mit zwei signierten Original-Fotografien Auf dem Bauernhof und Straße im Winter, auf Barytpapier beiliegend zum Preis von 330 Euro (diese Ausgabe dürfte durch die Abonnements fast vergriffen sein, man eile ...). Aber zum Zerschneiden war der Fuchs zu schön. Darum begleitete er mich jahrelang und durfte überall, wo ich wohnte, wie ein Haustier auf dem Fußboden liegen. Eines Tages stieß ich im Vorbeigehen an das Fell, und der Schwanz rutschte weg. Er war abgeschnitten. Wochen später war der rechte hintere Fuß abgeschnitten, dann der linke. Ein paar Monate später nacheinander die vorderen Füße. Ferner sind noch die Vorzugsausgaben B und C in je 40 Exemplaren mit einem Original versehen, für jeweils 192 Euro zu bestellen. Der Geheimdienst kam und ging, wie er wollte. Er hinterließ Zeichen, wenn er wollte. Der Wohnungstür sah man nichts an. Ich sollte wissen, daß mir in meiner Wohnung dasselbe passieren kann wie dem Fuchs. Was für ein Buch, das Thomas Reche da wuchtig kredenzt!

(André Schinkel/kursivierte Zitate: Herta Müller)

Sa, 13.01.2024

Die drei Ausgaben des Buches. | © bei Robert Grieger

Jugenderinnerungen eines alten Berliners: Felix Eberty (1812–1884)

Aus Roberts kleiner Bücherecke

Georg Friedrich Felix Eberty (1812–1884), deutscher Jurist, Astronom, Autor, entstammt, wie Wikipedia weiß, der jüdischen Berliner Familie Ephraim. Er wurde als Sohn des Bankiers Hermann Eberty (1784–1856, 1810 Namensänderung von Ephraim zu Eberty) und dessen Frau Babette, geb. Mosson (1788–1831) geboren. Der Großvater Felix Ebertys war der Bankier Joseph Veitel Ephraim (1730–1786). Eberty heiratete die Gutsbesitzerstochter Marie Amalie Catharina, geb. Hasse, in Barottwitz bei Breslau, und war der Vater von vier Töchtern. Er wuchs in Berlin auf und besuchte die Cauersche Anstalt. Zusätzlich erhielt er Privatunterricht beim Mathematiker Jakob Steiner. Von 1831 bis 1834 studierte er in Berlin und Bonn Rechtswissenschaft, sein Referendariat absolvierte er in Berlin und wurde 1840 Kammergerichtsassessor und später Richter in Hirschberg, Lübben und Breslau, wo er sich 1849 habilitierte und 1854 Professor wurde. Er war in Berlin seit seinem Studium Mitglied des literarischen Vereins Tunnel über der Spree – dem auch Theodor Fontane (1819–1898) angehörte und dem er Zeit seines Lebens verbunden blieb. Eberty starb im Sommer 1884 in Arnsdorf im Riesengebirge. Die Jugenderinnerungen sind heute sein bekanntestes Werk geblieben.

Von den Jugenderinnerungen eines alten Berliners Ebertys liegen bis heute drei Editionen vor. Die Erstausgabe von 1878 erschien im Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung) in Berlin. Das Buch wird von Theodor Fontane in zwei Teilen der Sonntagsausgaben Nr. 46 und Nr. 47 der Vossischen Zeitung vom 17. und vom 24. November des Jahres rezensiert. Die Wahrnehmung fällt damit in den Beginn des späten Ruhms Fontanes, der viele Jahre nach Journalist, Lyriker und Reise-Schriftsteller reüssierte und 1878 mit der Veröffentlichung seines großen Romanspätwerks beginnt. (Felix Eberty: Jugenderinnerungen eines alten Berliners. Nachwort von Theodor Fontane, Berlin: Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung) 1878.) Diese Ausgabe bildet die maßgebliche Urschrift.

Die zweite Ausgabe des Buchs erscheint 1925: Eingeleitet von Georg Hermann, handelt es sich um eine nach handschriftlichen Aufzeichnungen des Verfassers ergänzte und im Berliner Verlag für Kulturpolitik neu herausgegebene Fassung von J. von Bülow. Die Edition der Neuausgabe ist mit zwölf Kupferstichen nach zeitgenössischen Originalen und Faksimiles nach Handschriften und Handzeichnungen des Verfassers versehen. Die besagte zweiteilige Rezension Fontanes aus der Vossischen Zeitung vom 17./24. November 1878 (siehe oben) wird hier erstmals beigefügt und nachgedruckt. (Felix Eberty: Jugenderinnerungen eines alten Berliners. Mit einem Geleit von Georg Hermann, Nachwort und Nachdruck der Rezension von Theodor Fontane, ergänzte und mit 12 Abbildungen neu herausgeben von J. von Bülow, Berlin: Verlag für Kulturpolitik 1925.)

Die jüngste Ausgabe des Buches stammt von 2015: Neu herausgegeben ist sie von Werner Graf im Comino Verlag Berlin ... und: dieser Fassung liegt die Ausgabe von 1925 zugrunde und wird um weitere vorgenommene Kürzungen ergänzt. Somit ergibt sich nun ein Gesamtbild beider doch etwas unterschiedlicher Ausgaben – in dieser gegenwärtigen Fassung leider ohne die Grafiken. (Felix Eberty: Jugenderinnerungen eines alten Berliners. Nachwort von Theodor Fontane, Neuausgabe der erweiterten Ausgabe von 1925, ergänzt um die fehlenden Kapitel der Ausgabe von 1878 und mit Anmerkungen versehen, Berlin: Comino 2015, Br., 388 Seiten, ISBN 978-394583-105-2, 14,90 Euro.)

Zum Inhalt: Mit 66 Jahren blickt Felix Eberty 1878 auf seine Jugendjahre in Berlin zurück und bewahrt damit eine schon damals untergegangene Welt vor dem Vergessen. Eberty, dessen Vater aus der in Berlin berühmten jüdischen Familie Ephraim stammte, wuchs in einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie auf und wurde im Alter von 14 Jahren getauft. Er besuchte die legendäre Cauersche Erziehungsanstalt, ein privates Internat für das aufgeklärte Bürgertum, das nach reformpädagogischen Prinzipien geleitet wurde. Von 1831 bis 1834 studierte er in Bonn die Kunst der Rechtswissenschaften und trat anschließend in den preußischen Justizdienst ein, den er aber nach wenigen Jahren zugunsten einer erfolgreichen Tätigkeit als Schriftsteller aufgab. 

Theodor Fontane rezensierte die Jugenderinnerungen eines alten Berliners in der Vossischen Zeitung. Er schrieb, schon jetzt habe Ebertys Buch ‚kulturhistorische Bedeutung‘ und prophezeite: ‚(...) nach abermals fünfzig Jahren ganz gewiss.‘ 150 Jahre später gilt dies umso mehr. Denn das Buch gibt ‚dem Kulturhistoriker der Zukunft ein wundervolles, weil das Klein- und Detail-Leben schilderndes Material an die Hand.‘ Es ist laut ihm auch ein ‚wahres ‚Schatzkästlein‘ von Anekdoten, alle sehr gut erzählt, deshalb sehr gut, weil sie im Ton richtig getroffen sind.‘ Ebertys Beobachtungen haben mit der Zeit an Witz und Aktualität gewonnen (und tun dies bis jetzt): ‚Überhaupt waren die Berliner und sind auch noch heut leicht aufzuregen und ebenso leicht wieder zu beruhigen.

Der Charakter derselben hat sich nicht viel geändert, wohl aber der Charakter der Einwohnerschaft Berlins, die jetzt kaum noch zur Hälfte aus eigentlichen und wirklichen Berlinern bestehen mag. Der Zufluss von Menschen aus allen Provinzen des Landes ist denn auch nicht ohne Einfluss auf die Hauptstädter geblieben, welche ja schon von alters her viele fremde Elemente in sich aufgenommen hatten.‘ Und wenn er von seiner Ausbildungszeit am Berliner Stadtgericht erzählt, klingt manche Geschichte wie von heute: ‚Der Herausgeber einer kleinen Zeitschrift hatte an alle Welt Probenummern geschickt, welche den Vermerk enthielten, dass der Empfänger sich durch Annahme derselben zum Abonnement auf ein ganzes Jahr verpflichte. Natürlich wollte nachher niemand durch diese Erklärung gebunden sein, (...) die Zahlung wurde überall verweigert. Darauf verklagte der Herausgeber sämtliche vermeintliche Abonnenten, (...) elfhundert an der Zahl.‘“

Felix Eberty: Jugenderinnerungen
eines alten Berliners. Nachwort
von Theodor Fontane, Neuausgabe
der erweiterten Ausgabe von 1925,
herausgegeben von Werner Graf,
Berlin: im Comino Verlag 2015,  
Broschur, 388 Seiten, ISBN 978-
394583-105-2, Neupreis: 14,90 Euro.

(Robert Grieger)

So, 31.12.2023

Die Abbildungen der Kölner Jahresgabe bestanden darauf, im Querformat zu erscheinen. Weil Silvester ist, erlaubt das die Redaktion ... | © Robert Grieger

Jahresgabe 2023 der Kölnischen Bibliotheksgesellschaft

Das letzte schöne Exemplar in der Rubrik Bibliophiles des Monats für das verstreichende Jahr ist die 2023er Jahresgabe der Kölnischen Bibliotheksgesellschaft (wir bitten den kleinen Lapsus mit den Bildern zu entschuldigen, die Fotografien haben sich partout nicht umstimmen lassen, stehend zu erscheinen (Anmerkung des Blog-Admins)), die in der Universitäts- und Stadtbibliothek der Metropole am Rhein beheimatet ist. Es handelt sich dabei um ein Faksimile eines Druckes von 1848 mit dem Titel Die Kölner Ereignisse vom 3. und 4. August. Autor dieser Schrift ist der Kölner Zigarrenhändler, demokratische Aktivist und spätere Paulskirchen-Abgeordnete Franz Raveaux. Hier wird auf die Ereignisse des 03. und des 04. August 1846 Bezug genommen. An diesem Datum ereigneten sich die so genannten Jahrmarkt-Unruhen auf einer Kölner Kirmes, die die deutsche Revolution von 1848 einleiteten. Die Initiatoren der Gabe schreibt dazu: „Für die Mitglieder der Kölnischen Bibliotheksgesellschaft geben wir regelmäßig Jahresgaben heraus. Dabei handelt es sich um Sonderausgaben, also um Nachdrucke von seltenen Büchern aus unserem Besitz – Satz, Druck, Umschlaggestaltung und Produktion made by USB Köln!“ Diese Jahresgaben sind begehrt und haben mittlerweile weite Verbreitung gefunden. Denn weiter heißt es: „Aber auch alle anderen Interessierten können unsere Jahresgaben hier bestellen.“ Hergesellt werden sie im Haus, entstehen in Kooperation der Abteilungen Buchbinderei und Digitalisierung. Die fein aufgemachten und dabei preiswerten Nachdrucke sind nebst vielem anderem auf der Website der USB bestellbar. Preislich gruppieren sich die Ausgaben, von denen man auf der Seite eine kleine Reihe betrachten kann, im Bereich zwischen 15 und 20 Euro. Die liebevolle Gestaltung macht sie zu Kleinoden für den Sammler. Und das Wissen der Welt, in Raritäten gesammelt, verbreitet sich auf gute Weise auch.

(Robert Grieger/André Schinkel/Pressemitteilung)

Do, 30.11.2023

Neues Glanzstück: "Die automatische Weltreise", für die Uwe Klos und Hubert Schirneck in Monotypie und Text zusammenarbeiteten. Das Werk ist in der Cossengrüner edition duplici soeben erschienen.

Bibliophiles des Monats II: „Die automatische Weltreise“

In memoriam Shane McGowan

Es beginnt furios, und so bleibt es auch die ganze Zeit in dem außen glänzenden, innen ganz in die Tiefe und Höhe zugleich und gleichsam in Glanz, Buchkunst, Lettern und Farbe getauchten neuesten Buchwerk aus Cossengrün bei Greiz mit dem sehr aufregenden Titel Die automatische Weltreise, von dem, wie man aus verlässlicher Quelle hört, bereits ein Exemplar Einzug in der hoch berühmten Anna Amalia Bibliothek zu Weimar und damit in die Ewigkeit gefunden hat. Es ist nicht das erste Buch unter der kraftvollen Ägide des Ostthüringer Künstlers dort, wohl dem. So man bedenkt, dass es nur 13 verkaufbare Exemplare neben den beiden Künstlerausgaben davon überhaupt gibt, möge sich der beherzte Bibliophile (für Pirckheimer gibt es zudem Rabatt) beeilen. 

Ganz frisch in der edition duplici von Pirckheimer-Freund Uwe Klos ist die Weltreise erschienen und eine Kollaboration zweier ausgewiesener Ostthüringer zumal. Uwe Klos arbeitet in nun bereits bewährter Manier mit einem Autor, diesmal Hubert Schirneck, gebürtig in Gera wie Klos selbst, zusammen. Zwei „Gersche“ also, wie man im Dialekt des Landstrichs sagt. Schirneck, der heute in Weimar lebt, hat zwanzig Bücher veröffentlicht, wurde in 15 Sprachen übersetzt und vielfach mit Preisen und Stipendien geehrt. Er steuert dem Buch, das fünf Monotypien von Klos enthält, einen so eigenen wie in Stringenz und Ton ganz unverwechselbaren Text, der in weiten Absätzen wie ein Langgedicht und eine Erzählung in einem über die Seiten schwingt, kompakt, der Grafik kongenial: 

„und wir brauchen wunder / und wir finden sie am ende ganz am ende des bahnsteigs / so weit geht nur wer lange zu warten vermag / endlos lange / von der ersten geburt / bis er schließlich die hand an die stirn legt und denkt (zum letztenmal denkt) / es ist nichts ...“ Und endet: „jetzt aber träumst du nicht mehr / von einem besseren leben / jetzt lebst du besser / in deinen träumen“, und schließlich: „und wenn du jetzt erwachst / wirst du zur welt gebracht / als wäre das gar nichts / abgeschnitten / gewaschen / gepudert / in ein laken gehüllt / und du gehst / versehen mit allen guten wünschen / deiner wege.“ Dazwischen spannt sich in der Tat eine ganze Hemisphäre auf, was für ein famoser, straighter Text, der sich da Schirneck entrang und mit der Arbeit von Klos spricht. 

Ein Werk also, das das Herze des Bücherversessenen und Sammlers in gleich mehrerlei Weise zu erfreuen und zu bewegen versteht. Dazu die feine und kraftbesetzte Dreifaltigkeit der Monotypien von Uwe Klos in ihrem zeichnerischen, malerischen und grafischen Chant royal, wie es dem stillen und, so möge es bleiben, unstürzbaren Königtum der Kunst guttut. Behutsam langschmal, nein, fast quadratisch im Format von 31 x 35 Zentimetern, ist Die automatische Weltreise für 390 Euro zuzüglich Versandaufwand von 7 Euro zu haben. Für die Pirckheimer ist es für 350 Euro offeriert. Kontakt zum Künstler besteht über die Webseite von Klos und per Mail: Kunst@Uwe-Klos.de.

Die automatische Weltreise
Mit fünf Monotypien von Uwe Klos
und einem Text von Hubert Schirneck.
Auflage: 13 Exemplare & 2 Künstlerexemplare.
Format: Höhe 31 cm, Breite 35 cm (geschlossen).
Erschienen in der edition duplici von Uwe Klos.
Preis: 390 Euro (zuzüglich 7 Euro Versand),
für Pirckheimer: 350 Euro (zuzügl. Versand).

(André Schinkel)

Mo, 27.11.2023

Gavarni bei A. R. Meyer. | © Staatsbibliothek zu Berlin

Bibliophiles des Monats I: „Schule der Pierrots“ bei A. R. Meyer

Der Verleger, Schriftsteller und Bohemien Alfred Richard Meyer (1882–1956), auch unter dem Pseudonym „Munkepunke“ benannt, gründete 1907 seinen „Ein-Mann-Verlag“. Ein erster Schritt war der Privatdruck Ahrenshooper Abende (Untertitel: Fünf lyrische Pastelle) in 500 nummerierten Exemplaren. Sich in expressionistischen Kreisen bewegend, veröffentlichte A. R. Meyer die Werke von Dichtern wie Heinrich Lautensack, Paul Zech und Gottfried Benn, der großen und allseits bewunderten Else Lasker-Schüler, Alfred Lichtenstein oder des zweisprachigen Yvan Goll. Die ersten Dokumente von Futurismus und Orphismus im deutschsprachigen Raum – darunter F. T. Marinettis Futuristische Dichtungen (1912) und Guillaume Apollinaires Gedichtzyklus Zone (1912) – würden in diesem Umkreis in der Reihe der Lyrischen Flugblätter (1907–1924) erscheinen.

Unter seinem Pseudonym schrieb er auch eigene Werke: Munkepunkes Malzbonbons (1918), Des Herrn Munkepunkes Gastronomische Bücherei (1919), Des Herrn Munkepunkes Cocktail- und Bowlenbuch (1920), Munkepunkes Dionysos (1921, mit Lithographien von George Grosz, bei Gurlitt). Neben anderen schönen Publikationen veröffentlichte Meyer 1920 ein großformatiges Buch im Pappband mit Buntpapier-Bezug: Gavarnis Die Schule der Pierrots. Die Ausgabe enthält neben dem lithographierten Titel und dem gleichsam lithographierten Impressum acht Tafeln; die „einmalige“ Ausgabe zählt 60 Exemplare, davon zehn als Vorzugsdruck auf echtem Japan-Papier.

Die Lithografien sind eine Auswahl aus der originalen Serie der L’école des Pierrots, die zwischen 1851 und 1853 entstand. Der Pierrot ist eine Figur aus der zu Zeiten des französischen Zeichners, Grafikers und Karikaturisten Paul Gavarni (1804–1866) Lebzeiten populären Pantomime- und Maskenkultur. Die Protagonisten machen unter dem Deckmantel einer „Persona“ derbe Witze, missbrauchen Alkohol und benehmen sich auch sonst zügellos. Die komplette Serie besteht aus 20 Lithografien, die alle signiert (in der Meyer-Ausgabe natürlich nicht mehr möglich) sind. Realisiert wurden die Blätter vom berühmten Berliner Drucker Arthur Rogall, mit dem Meyer mindestens noch eine bibliophile Ausgabe produzierte: Empire von Henry Moses, und 14 Tafeln, die der Maler, Grafiker, Illustrator Moritz Retzsch zu Balladen von Goethe und von Schiller in Kupfer stach.

Nach Herbert Günthers Erinnerung (Alfred Richard Meyer (Munkepunke), der Mensch, der Dichter, der Verleger. In: Imprimatur) wurden viele der wertvollen künstlerischen Blätter in Alfred Richard Meyers persönlicher Bibliothek aufbewahrt, aber am Ende des letzten Krieges verbrannte seine Sammlung ... eine: „Bibliothek voller Rara, Rarissima, Unika, Widmungen, bibliophiler Kostbarkeiten, Dokumente, Erinnerungsstücke aller Art.“ (Paul Gavarni: Die Schule der Pierrots. Titel und 8 lithographische Tafeln nach Gavarni. Berlin-Wilmersdorf: A. R. Meyer 1920. Einmalige Auflage von 60 Exemplaren, davon 10 auf Japanpapier. Handdrucke von A. Rogall, Berlin N. W. 52.)

(Maria Bogdanovich)

Di, 31.10.2023

Der Autor Wulf Kirsten (1934–2022). | © Jens Kirsten
Der Band "Nachtfahrt" erschien im quartus-Verlag.

Bibliophiles des Monats: Wulf Kirstens „Nachtfahrt“-Prosa

Er war einer der bedeutendsten Lyriker der Gegenwart, ein akribischer und hochseismischer Bewahrer, Auffinder und Entdecker von Literatur, mithin der Nestor und Tribun der thüringischen Literaturszene: Wulf Kirsten, der, 1934 im sächsischen Klipphausen geboren, am 14. Dezember des letzten Jahrs im Alter von 88 Jahren in Bad Berka starb. Seit den sechziger Jahren war Weimar die Stadt seiner Wahl, hier entwickelte er zunächst ein hochwichtiges Wirken als Lektor des Aufbau-Verlags und reifte zugleich zum vielfach geehrten Dichter von hohen Graden, unter anderem mit dem Huchel-, dem Josef-Breitbach-Preis, einem Ehrendoktorat der Jenaer Universität und dem Thüringer Literaturpreis ausgezeichnet. Ein passionierter Wanderer und Landschafter, wurde seine Dichtung erinnernde Arbeit, Richtmaß, Vorbild einer Reihe jüngerer Dichter und Dichterinnen.

Kirsten, der auch ein hochambitionierter Herausgeber und Erfinder von Buchreihen war, ist auch für die auf Band Nr. 60 zulaufende Edition Muschelkalk verantwortlich zu machen, deren weitere und beherzte Herausgabe ich 2015 auf seinen Vorschlag als sein Nach-Nachfolger übernahm. So ist sein Wirken auf verschiedene Weise in der Welt geblieben und verankert. Dass das auch mit seinem Werk geschehe, ist nicht nur ein Wunsch der thüringischen Szene, die ihm so viel verdankt. Nun: Mit dem von Pirckheimer-Freund Jens-Fietje Dwars herausgegebenen ersten Nachlassband Nachtfahrt (Edition Ornament im quartus-Verlag, Bucha bei Jena 2023, 176 Seiten, ISBN 978-3-94764-652-4, 22 Euro) ist ein furioser Anfang gemacht. Das Buch enthält autobiographische Prosa und ist in der wunderbaren Essay-Unterreihe erschienen. Die Texte schließen an die vorhergehenden Prosa- und Essaysammlungen Kirstens an und zeigen ihn noch einmal in seiner ganzen Kraft des Schöpfens wie Erinnerns. In der Nachfolge seines 2000er Bands Die Prinzessinnen im Krautgarten widmet sich der Dichter in Nachtfahrt seiner erwachsenen Biografie. Das ist berührend, bewahrend, zuweilen skurril, immer authentisch und tief. Radierungen von Susanne Theumer begleiten das Buch, es sind mehrere Vorzugsausgaben erwerbbar. Regulär oder originalgrafisch: Eine bibliophile Kostbarkeit ist dieses Buch in jeder Ausführung. Und eine Empfehlung für alle Buch-Affinen!

Eine erste Lesung aus Nachtfahrt zum Gedenken an Wulf Kirsten fand am 01. Oktober in Gera statt, veranstaltet vom Herausgeber des Buches, Jens-Fietje Dwars, und Annerose Kirchner. Und weitere Veranstaltungen, unter anderem mit der Grafikerin Susanne Theumer oder dem halleschen Autor Wilhelm Bartsch, werden folgen. Im Übrigen ist auch ein originalgrafisches Buch mit Kaltnadeln Susanne Theumers zu acht nachgelassenen Gedichten Kirstens als 53. Druck in der Edition der Künstlerin in kleiner Auflage erschienen. Der Titel ist sympatrisch zur Nachlass-Publikation in der Edition Ornament: Abendlicht. Und auch ein Album amicorum, das Werk und den Nachhall Wulf Kirstens als Kollege und Freund in vielen Stimmlagen (Michael Krüger darunter, Volker Braun) würdigend, ist angekündigt und erscheint, herausgegeben von seinem Sohn Jens Kirsten, Wolfgang Haak und Christoph Schmitz-Scholemann, in Kürze. Ehre, wem sie gebührt ... So möge es sein.

(André Schinkel)

Sa, 29.07.2023

Ganz neu in der Edition M & M: Ausgewählte Erotici von Alexander Puschkin, gestaltet und realisiert von Jürgen Meyer Jurkowski, mit neun eingebundenen und einem lose beiliegenden Zweifarb-Linolschnitt des Pirckheimers JMJ. | © Jürgen Meyer Jurkowski

Bibliophiles des Monats: Erotica Alexander Puschkins bei M & M

Es ist gewissermaßen Fortführung und Kreisschluss in einem: das neue Buch in der Edition M & M, kompiliert und gestaltet von ihrem Betreiber Jürgen Meyer Jurkowski. Einerseits vertieft der Hamburger Künstler und Pirckheimer-Freund mit dem Werk seine Exegese des weitläufigen Werks von Alexander Puschkin (1799–1837), des wohl größten und bedeutendsten Dichters, Romanciers und Erzählers in der russischen Literatur im frühen 19. Jahrhundert, mit dem zugleich die erste Vorhut der Moderne in die russischsprachige Kultur Einzug hält. In der Edition bzw. ihrem Umkreis erschienen bereits Der Sargmacher, Schneesturm und Der Schuss drei Novellen des Meisters, der selbst ein hochtragisches Schicksal erlitt, illustriert und grafisch begleitet von Meyer Jurkowski.

Zugleich setzt JMJ nach dem Vorgänger-Buch mit dem seinerseits sprechenden, aufreizenden Namen Sternzeichen-Fick-Info (2021, mit Versen des Romanautors Frank Schulz) mit dem nun wiederum hochexpliziten Titel Mach deine Beine breit ich bin dein Epitaph seine Vorliebe für Puschkin mit der (hier nun auch ihren Abschluss findenden) erotischen Phase der Edition M & M in Engführung. Worte, die man dem Klassiker und Verfasser der Ikonen Eugen Onegin und Die Hauptmannstochter nicht auf den ersten Blick zutraut nun aber es ist bekannt, dass Puschkin gern und auch im Erotischen, Geschlechtlichen verbal oft übers Maß und an die Grenze gehend lebte, und so gibt es einen nicht unerheblichen Bestand an Erotici aus seiner Feder. Sie liegen seit 1999 in einer von Michael Engelhard ins Deutsche gebrachten Sammlung im Insel Verlag vor. 

Überaus deftig und sinnenfroh geht es in dieser Werkgruppe Puschkins, die ähnlich einiger der Priapeia Johann Wolfgang von Goethes im Umkreis der Römischen Elegien wenige Jahrzehnte zuvor, den öffentlichen Gepflogenheiten der jeweiligen Epoche entsprechend, zensiert wurden und für anderweitige Aufregung zugleich sorgten. So ließen sich diese Texte lange, vor der adäquaten Übersetzung durch Engelhard, die auch die Grundlage der bei M & M vorliegenden Auswahl ist, nur in entschärften und geglätteten Fassungen lesen. Und gegenüber den doch immerhin stets um klassizistische Fassung ringenden Hexametern Goethes geht es bei Puschkin nicht nur zugreifend, nein, auch ironisch und frech zu. Das beglückende Geschlecht eines hohen militärischen Herrn etwa wird mit der Lupe gesucht, nein, schlimmer, mit einem Mikroskop ... als käme es auf die Größe an; ja, und so manche Sottise wird dem einen oder anderen zarten Gemüt vielleicht aufstoßen. 

Gleichzeitig steckt in diesen Versen, von denen der Meister nicht wenige hingeworfen und in mehr oder weniger privatimer Korrespondenz eingeflochten haben wird, eine Sinnenfreude und wahrhafte Lebens- und Liebens-Lust, dass es sich nicht ganz leicht mit dem zeitigen Ende Puschkins als Opfer eines von ihm geforderten Duells abstimmen lässt. Bis heute werden still Gerüchte genährt, der damalige Eklat war ein aus Lebensüberdruss inszenierter. Nun: Zu diesen Theorien ist das vorliegende Buch mit seinen höchst unbekümmerten Avancen ans Fleisch das vollständige Gegen-Programm. Das liegt auch in seiner gestalterischen Güte, Tiefe und Qualität. Puschkin-Verehrer Jürgen Meyer Jurkowski gibt den kleinen Verseinheiten auf den 26 Seiten von Mach die Beine breit Raum und zuweilen den Inhalt adelnde Schönheit, unterstrichen durch Festeinband, geprägten Einband und exklusiv beiliegendes Puschkin-Porträt, gehüllt in einen edlen Schutzumschlag

Dabei geht er in seinen neun eingebundenen Linolschnitten durchaus nicht weniger explizit vor, als es die literarische Vorlage gebietet. Auch in seinen Drucken schwingt alles in flächig-feiner, in erotischer Temperatur und Konfrontation in Schwarz, Grün und dem gedeckten Hell des Fonds, das durch die Ballungen und Findungen Meyer Jurkowskis blitzt. Den Erotica-Beigaben liegt am Ende des Buchs, das ein kleines Nachwort zu Entstehung und Form begleitet, lose besagtes Porträt im gleichen Format von 21 x 15 Zentimetern (bei einem Gesamt-Buchformat von 31,5 x 21 Zentimetern) bei. Das Werk wurde vollständig vom Künstler gestaltet und realisiert, bei einer nur kleinen Verkaufsauflage von lediglich 12 von Jürgen Meyer Jurkowski nummerierten und signierten Exemplaren mögen sich die Interessenten in Sachen Bibliophilie, künstlerische Erotik und Puschkiniana beeilen. Kontakt zum Künstler und Betreiber der Edition M & M besteht bei Interesse über die Mailadresse jmj.meyer@gmx.de. Ein aufregend-provokantes, schönes Buch.

Alexander Puschkin: Mach deine
Beine breit – ich bin dein Epitaph.
Mit 9 zweifarbigen Linolschnitten und
einem beigelegten Puschkin-Porträt
im gleichen Format (21 x 15 cm)
von Jürgen Meyer Jurkowski.
26 Seiten, SchU, Gewebeeinband
mit einfarbiger Deckelprägung.
Hamburg: Edition M & M 2023, 
12 Verkaufsexemplare, vom Künstler
nummeriert und signiert, 580 Euro.

(André Schinkel)

Mi, 28.06.2023

Das Seestück "Nach dem Sturm 2" von Klaus Raasch.

Bibliophiles des Monats: Die zehn „Seestücke“ von Klaus Raasch

Es ist quasi die Fortsetzung seines Projekts Das Meer. La Mer. The Sea, das eine erste Groß-Serie maritimer Holzschnitte zeitigte: mit seinen Seestücken setzt Klaus Raasch, der renommierte Hamburger Künstler, Drucker und Verleger, mithin Initiator der BuchDruckKunst, die Jahr für Jahr im Frühling Hunderte Grafiker*innen, Buchkünstler*innen, Editierende, Galerien und natürlich und vor allem sich für diese herrlichen Gewerke Interessierenden in die Hansestadt an der Elbe zieht, ein aufregendes Prinzip fort. Letztlich treten der und dem Bibliophilen die Kunstwerke in drei Aggregatzuständen entgegen: als originale Abzüge, Druckstöcke und, für den etwas kleineren Etat, in Form eines, nach Das Meer, zweiten Werkbuchs, verlegt in der Edition Klaus Raasch

Die originalen Seestücke bestehen dabei aus zehn hochformatigen Drucken im Format von 22 x 45 Zentimetern, gedruckt auf Bütten Alt Bern in der Größe von 30 x 53 Zentimeter, und sind in einer handgefertigten Leinenmappe, die mit einem weiteren originalen Holzschnitt bedruckt ist, zusammengefasst. Die Gesamtauflage der Holzschnitte beträgt vierzig nummerierte und signierte Exemplare, davon gibt es die ersten fünfzehn Exemplare nur als komplette Folge. Der Preis für das Gesamt-Bundle der originalen Seestücke mit insgesamt dreizehn Blättern beträgt 1.800 Euro. Einzelblätter gibt der Künstler auf Anfrage ebenfalls ab. Interessant ist dabei Raaschs Arbeitsweise:

Als Grundlage dient Kiefernsperrholz, das vor dem Drucken auseinandergesägt und wie bei einem Puzzle neu angeordnet und kombiniert, ineinandergefügt wird. Die interessante Maserung des Holzes wird dabei bewusst in die Gestaltung einbezogen, das Ergebnis sind äußerst effektvolle und hochgradig farbintensive Produkte. Neben den traditionellen Holzschneide-Werkzeugen kommen auch weniger konventionelle zum Einsatz. In mehreren Druckgängen werden von den Stöcken die Motive abgezogen; von feinster bis zu expressiver Farbgebung ist alles dabei. Die Farben mischt Raasch dafür selbst an, das Drucken in vielen Schichten ermöglicht grazile Farbnuancierung

Als Ausgabe für den täglichen Gebrauch dient das Werkbuch, in Raaschs Edition für 18 Euro (2., überarbeitete Auflage. 80 Seiten im Hochformat von 29,7 x 21 Zentimeter, 150 g/qm Naturpapier, Fadenheftung, Broschur) zu haben. „Anschaulich wird die Entstehung der Grafikfolge Seestücke beschrieben. Abgebildet sind nicht nur alle zehn Farbholzschnitte, sondern auch die Collagen aus den eingefärbten Hölzern, die eine ganz eigene Sinnlichkeit haben und die von Sammlern sehr geschätzt werden“, so der Künstler. Eine wundersame Folge, in der man sich, sei es im Original oder im handlichen Format samt Zusatzmaterialien, wieder und wieder versenken und verlieren mag.  

(André Schinkel)

Mi, 31.05.2023

Bereits zum zweiten Mal arbeiteten Helmut Brade und Fritz Puschendorf in "Wer ist wer?", das regulär und in einer Vorzugsausgabe erschien, zusammen.
S. 22/23: das Doppelporträt der Malerin Frida Kahlo.
S. 44/45: Auch Barockriese Bach wurde porträtiert.

Bibliophiles des Monats II: „Wer ist wer?“ – Porträts von Helmut Brade und Fritz Puschendorf

Es ist die zweite Zusammenarbeit – begonnen haben Helmut Brade und Fritz Puschendorf mit einem Tieralphabet, das es zu Radioehren und es bis ins Klingspor-Museum unter die Schönsten Bücher brachte, seit einiger Zeit liegt nun Wer ist wer? in einer regulären und Vorzugsausgabe vor. Darin porträtieren der 85-jährige, weit über die Grenzen Mitteldeutschlands bekannte Plakat- und Bühnenbildkünstler Brade und der 17-jährige Puschendorf Größen der Kulturgeschichte, auch die Mona Lisa ist dabei und ein fernöstlicher Mönch, die Riesen Bach, Klopstock, Goethe, Gleim, Schiller, Herder, Albert Einstein, Bob Dylan, ferner Liszt und Winckelmann und die dem Projekt einerseits als Künstlerfreundin ... und andererseits als Mutter zugewandte Meisterin der Kaltnadel, Claudia Berg, die für die Publikation des Projekts zugleich als Mitherausgeberin fungiert. 

Auf 64 Seiten präsentieren Brade und Puschendorf ihre jeweiligen Sichten – immer stehen die Porträts sich auf einer Doppelseite gegenüber, sodass man den direkten Vergleich im Zugriff der beiden Künstler auf die Vorlage hat. Auch die mexikanische Malerinnenlegende Frida Kahlo fand so Eingang in die Folge, ebenso wie Sigmund Freud. Am Ende des Büchleins, das ungefähr im handlichen DIN-A5-Format daherkommt und an dessen Gestaltung neben Helmut Brade selbst der hallesche und nun im Saalekreis lebende Papierkünstler Andreas Richter beteiligt ist, gibt es eine wiederum alphabetische Liste der Persönlichkeiten, die über das einfach zu handhabende, in Rot abgesetzte Seitenregister eindeutig zugewiesen und so leicht zu finden wie zuzuordnen sind. 

Das Büchlein mit den Zeichnungen von Fritz Puschendorf und Helmut Brade erscheint in einer durchnummerierten und signierten Auflage von 300 Exemplaren samt 30 Vorzugsausgaben im Schuber und mit jeweils einer Zeichnung der Künstler – aufgrund der Verwurzelung des Projektes in der Saalestadt Halle wird diese jeweils ein Porträt des größten Sohnes der Stadt, Komponist Georg Friedrich Händel, abbilden. Die Normalausgabe von Wer ist Wer? soll 10 Euro kosten, die Vorzugsausgabe 60 Euro. Interessen für das Büchlein in einem der Formate melden sich bitte unter der Mailadresse von Mitherausgeberin Claudia Berg: c.berg.grafik@t-online.de.

Am 3. Juni wird Wer ist wer? gemeinsam mit dem neuen Katalog der Radierkünstlerin in der Galerie von Erik Bausmann (Martha-Brautzsch-Straße 13, 06108 Halle an der Saale) präsentiert, es sind alle Beteiligten anwesend, es spricht Maître Brade zum Anlass. Die Veranstaltung beginnt um 14 Uhr. Abschließend seien die beiden Künstler aus den kleinen Präambeln zur Publikation zitiert – Helmut Brade: „Es macht einfach Spaß, zusammen zu zeichnen, ganz alt­modisch auf Papier mit Feder und schwarzer Tusche. Und da wir schon Tiere gezeichnet haben, was lag da näher, auch ein­mal Menschen zu zeichnen []. Zu jeder Zeichnung gehört auch die Beschäftigung mit der gezeichne­ten Persönlichkeit; und das ist eine schöne Form gemeinschaft­licher Aneignung, gewissermaßen als Fußnote zum Portrait.“ Und Fritz Puschendorf pflichtet bei: „Als Helmut und ich wieder angefangen haben zu zeichnen, wussten wir zuerst nicht, wo das Ganze hinführt. Vor kurzem jedoch hatte er die Idee, aus diesen Zeichnungen ein kleines Heft zu machen, worüber ich mich sehr gefreut habe …“ Das Ergebnis dieses kollegialen Unterfangens liegt nun als Büchlein vor.

(André Schinkel)

Mo, 22.05.2023

Matthias Weischer, Aafke Ytsma (Mitte) und Selma van Panhius (rechts) beim Drucken der drei farbigen Holzschnitte im Atelier, im Hintergrund eines der Vorlagen-Interieurs des Künstlers. | © Thomas Glöß
Durch den Druck auf sehr dünnem Japanpapier ergeben sich auf den Rückseiten der Holzschnitte sehr schöne und feine durchscheinende Effekte: Mehrschichtigkeit und Transparenz. | © Thomas Glöß
Der doppelseitige Farbholzschnitt in der Mitte des Bandes bildet das Zentrum des Buches, das sich um die poetische Prosa "Eine Reflexion" der Leipziger Dichterin Angela Krauß bewegt. | © Thomas Glöß
Satz und buchkünstlerische Gestaltung lagen in den Händen von Burg-Absolvent Thomas Kober, der dem feingliedrigen Werk von Angela Krauß viel Raum auf den Textseiten des Buches verlieh. | © Thomas Glöß

Bibliophiles des Monats I: Erst Ur-Berührung schafft Relevanz

In den Paradiesischen Dialogen 6 des Leipziger Bibliophilen-Abends treten die Schriftstellerin Angela Krauß und der Maler Matthias Weischer in ein Zwiegespräch

Dieser zimtgelbe Umschlag, ungenormt groß, stabiler Karton, verrätselt keine Botschaft. Er selbst ist sie kraft seines Inhalts: Drei Farbholzschnitte des Malers und Grafikers Matthias Weischer, in seinem Atelier gedruckt auf Japanpapier, verschränken sich in einem „paradiesischen Dialog“ mit einem Text der Schriftstellerin Angela Krauß. Am Vorabend der Leipziger Buchmesse 2024 stellte der Leipziger Bibliophilen-Abend (LBA) in der Albertina, der Leipziger Universitätsbibliothek, diese sechste Liaison von Originalgrafischem und Literatur vor – Paradiesische Dialoge eben, buchkünstlerisch gestaltet von Thomas Kober.

„Es wird einem nie etwas vorenthalten. Es wird etwas angeboten, [] und das führt auf den eigenen Weg.“ In ihrem mit Eine Reflexion überschriebenen poetischen Text spürt die in Chemnitz geborene, längst in Leipzig lebende Dichterin einer „Ur-Berührung“ nach. Ihrer Ur-Berührung, die in den Jahren des Beginnens eine mit Bildkunst ist, die sie schließlich zu Sprache hinführt als dem Medium, das aus ihr, durch das sie spricht. Eine tastende Selbsteinkreisung, die eine Vermessung von Welt sein muss, die Verknüpfungen herstellt, die spiegelt, auf Echo aus ist. 

Auf ein künstlerisches Zwiegespräch also, auf den sich der Maler, deutlich jünger und in Nordrhein-Westfalen sozialisiert, einlässt mit Neugier, dem feinen Gespür für das im Gesagten Unaussprechliche. Weischer, der sich auch mit Bühnenbildern einen Namen gemacht hat, ist in seinem Element. Die Szenerie, die auf einer Doppelseite den farbensatten Kulminationspunkt der gemeinsamen Mappe bildet, baute er vor in seinem Atelier, ehe er das Interieur auf dem Druckstock ausarbeitete.

„Dass zwei miteinander reden, ist immer etwas Paradiesisches“, sagt Michael Hametner, Autor und Journalist, der die Paradiesischen Dialoge für den LBA herausgibt, Künste zusammenführt für einen Austausch. Mit Matthias Weischer, Meisterschüler Sighard Gilles an der HGB, der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, schließt er unmittelbar an Edition Nr. 5 Das Lied von der Erde an. Mit sechs Farblithografien greift Gille darin eine Dichtung auf, die er seiner Deckenmalerei im Neuen Gewandhaus zu Leipzig zugrunde legte. 

Weischer ist ein Mann stiller, konzentrierter, farbbestimmter, häufig menschenleerer Bilder. Ihn zusammenzubringen mit Krauß, deren Prosa stets etwas Lyrisches innewohnt, erweist sich als symbiotisch. Ein Dialog, der inspiriert wie insistiert. Der den Zauber nicht aufzulösen drängt, der das Geheimnisvolle sichert – wissend dass es nicht mit Endgültigkeit formulierbar ist. Grafik-Gestalter Thomas Kober aus Leipzig, der an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle in der Fachklasse Buchkunst bei Sabine Golde studierte, gibt dem Text, sparsam platziert, Raum auf dem Weiß, der flankiert wird durch japanische Farbholzschnitte.

„Eine Kunst, die durch große Flächen, durch Licht definiert wird, für die ich mich lange schon interessiere“, sagt Weischer: „Wie aufwendig die Technik wirklich ist, wurde mir erst im Laufe des Prozesses klar.“ An seiner Seite hatte er beim Druck, der in seinem Atelier geschah, mit den beiden in Leipzig tätigen Niederländerinnen Aafke Ytsma und Selma van Panhius zwei versierte Druckerinnen an der Seite. Rund fünf Wochen wurde am Stück gemeinsam gearbeitet, um die bis zu elf Farben zählenden Drucke zu realisieren. Die Platten wurden mit Bürsten eingefärbt; zum Teil wurden in einem Vorgang mehrere Farbfelder gedruckt. Da ein nur 40 Gramm pro Quadratmeter schweres Japanpapier verwendet wurde, gewinnen die Drucke eine faszinierende Transparenz und Mehrschichtigkeit. Der Druck des Textes besorgte Thomas Druck in Leipzig auf Metapaper Extrarough Warmwhite 170 g/qm. Erstmalig setzte der LBA für seine Paradiesischen Dialoge auf Digitaldruck anstelle des klassischen Buch- beziehungsweise Offsetdrucks.

Verlegt wurden von Eine Reflexion 99 nummerierte und signierte Exemplare. Die Nummern eins bis dreißig erschienen als Vorzugsausgabe; ihnen liegt ein weiterer Holzschnitt Weischers bei. Zwanzig römisch nummerierte Ausgaben sind Künstler- und Verleger-Exemplare. Aufgrund der hohen Zahl an Subskribenten und der starken Nachfrage bei Sammlern waren die Paradiesischen Dialoge 6 nach wenigen Tagen ausverkauft. Das letzte verfügbare Exemplar der Edition fand am LBA-Stand auf der Leipziger Buchmesse eine Interessentin. 

Einige Restexemplare der Paradiesischen Dialoge Nr. 1 bis 5 kann man über den LBA noch beziehen. Erschienen sind: Hans-Eckhardt Wenzel, An eines Sommers frühen Ende, Gedichte, mit 9 Lithografien von Johannes Heisig (2017); Anja Kampmann, Fischdiebe, 5 Radierungen von Frank Berendt (2017); Mensch! Klinger, Textcollage von Michael Hametner, 3 Radierungen von Lutz Friedel (2018). Marcel Beyer, Farn, 5 Siebdrucke von Jacqueline Merz (2019). Das Lied der Erde, Textfassung von Gustav Mahler, 6 Farblithografien von Sighard Gille.

(Ekkehard Schulreich)