Hier geht sie hin, da geht sie hin – meine halbe Bücherei: Der polyglotte „Pierer“, Vaters „Brockhaus“ (das „Allbuch“) von 1942, der „DDR-Meyer“, das erbärmliche Lexikon von Bertelsmann. Kindlers Literatur Lexikon. Sämtliche Literaturgeschichten. Zwei Meter Philosophie. Karl Julius Weber. Anderthalb Meter „Bibliothek des 18. Jahrhunderts“. Casanova. Jonathan Swift, Edgar Allan Poe. Mark Twain bis auf Reise um die Welt, Bummel durch Europa, Die Arglosen im Ausland und Der geheimnisvolle Fremde. 28 Bände Herder; Goethe, Schiller, Heine; Treitschke, Ranke, Bismarck, Spengler; Alfred Brehm und Albert Schweitzer. Alle Bändchen „ad libitum“ und die „Erkundungen“. Max Goldt. Rund vier Meter Insel-Bändchen. Vincent van Gogh. Salvador Dali und Leonor Fini. Kunst- und Reiseführer. Erwin Strittmatter außer Der Laden, Arno Schmidt außer Das essayistische Werk zur deutschen Literatur. Und: Alle Regionalliteratur bis auf ein paar Nachschlagewerke, so gut wie alle Sekundärliteratur zum Biedermeier, Sengle inklusive; die Schefer- und die Pückler-Sammlung; über ein Dutzend „Schatzkästlein“, Andachts- und Gesangbücher. Und viele andere mehr. Schluß. Aus. Schnauze voll. Nie wieder umziehen mit Büchern, hatt‘ ich mir geschworen, aber das hab‘ ich dann doch nicht fertig gebracht.
Wenigstens hab‘ ich mir mit meinen Abschaffungen die Rückkehr auf Gebiete abgeschnitten, wo nichts als Ärger auf einen wartet. Geschichte, Regionalgeschichte … – Wozu? Die Sachsen waren, sind und bleiben untertänigst-dämlich, weil sie gar nichts anderes wollen. Schluß. Aus. Schnauze voll. Das Aus lag quasi in der Luft. Der Umzug als Katalysator. Fünf Monate lang habe ich keinen Hirn- und keinen Handschlag für den Geist getan.
„Ich schreibe nichts, ich lese nichts, ich bin entsetzlich faul,
ich stopfe bloß noch 4 x täglich mein Schlaraffenmaul.“
Das war vor einer Woche, kurz bevor die Vergangenheit in Gestalt des „Hongloumeng“, des großen Romans der Chinesen, mich wieder einholte. Inzwischen ist der Artikel „Wie ‚Die Geschichte vom Stein‘ unter die Räder kam“ fix & fertig; 48.789 Zeichen = 33 Seiten, die im Dezember in „minima sinica“ erscheinen werden. – China …!
Nächst „Stieglitz“ war die vor rund einem Jahr schon beendete Arbeit an diesem Beitrag der letzte Sargnagel für meinen Glauben an die Wissenschaft. Schluß. Aus. Schnauze voll: Ausgaben ohne Ende, Ärger mit Redakteuren, Herausgebern und Verlegern ohne Maß, Einkünfte unter aller Sau. Und bei Mehrkosten von 111,99 Euro monatlich fürs traute Heim zerstiebt die Hälfte meiner „Luftschlösser“ sowieso. Wenn überhaupt, schreib‘ ich künftig nur noch Katzen- oder andere Geschichten, für mich; für Katrin bring‘ ich vielleicht „Venedig“ (ohne Exkurse!) noch zu Ende, und, das Maximum: sollte mich jemand – was aber ganz unwahrscheinlich ist – sehr dazu überreden, würd‘ ich den Briefwechsel zwischen Schefer und Pückler noch edieren. Wär schon schön. Ist ja nun einmal (fast) fertig, das Ganze. Daß es nutzlos wäre, weiß sogar der Kuckuck, denn während ich das hier schreibe, sitzt ein halbes Dutzend älterer Damen am PC und tippt dem impotenten Pückler Heldengeschichten à la Casanova. Traurig. Bald werd‘ ich nicht mehr dran denken und alles wird gut. Die Stereo-Anlage? Die Schallplattensammlung? Schon vergessen. Wer in meinem Alter braucht schon noch Musik im Gegenwert von einigen Monaten Freizeit auf zentnerschwerem PVC? Die schönste Musik gibt’s auch im Netz, jede Menge niemals gepreßte obendrein.
Punktum: der Umzug hat uns gutgetan. Wir haben uns an die relativ niedrigen Decken der kleinen Wohnung gewöhnt; genießen die Ruhe am Ortsrand, frieren nicht ohne zu heizen, und meine Brillen such‘ ich selten. Alles „isi“. Katrin findet die neue Küche „geil“ und blüht darin förmlich auf. Sogar eine Kürbistorte mit Blätterteigboden gab es schon. Ausgewalzt hatte sie den Teig mit einer Flasche: Das Nudelholz hatten wir verschenkt.
Aber im Grunde gibt es kaum etwas, das uns wirklich fehlen könnte. Bis auf die Katze …
(Bernd-Ingo Friedrich, 12.11.2019, nach seinem dritten Umzug seit der Wende, der nach Verkauf erzwungen wurde.)