Vor 120 Jahren in Leipzig gegründet: Der erste deutsche bibliophile Ortsverein
Der LBA wurde 120: Am 04. Februar 1904 gründen achtzehn Leipziger Mitglieder der Weimarer Gesellschaft der Bibliophilen (GdB), die am 25. Januar eine Einladung wie alle 72 in Leipzig wohnhaften Mitglieder der Gesellschaft dazu erhalten haben, die erste Ortsvereinigung der Bibliophilen in Deutschland in Baarmann’s Lokal (Markt 6/Katharinenstraße 3) und vereinbaren, sich künftig in den Monaten Oktober bis Mai regelmäßig am ersten Dienstag des Monats zu treffen. Im Mai zählt der Verein bereits 50 ständige Mitglieder, und es treten noch mehr Interessenten ein. Die drei Leipziger weiblichen Mitglieder der Weimarer Gesellschaft, Frau Konsul Marie Nachod (Mitglied seit 1899), Frau Tanna Meyer (Mitglied seit 1902) und Fräulein Marianne Brockhaus (Mitglied seit 1903) treten in der Leipziger Ortsvereinigung allerdings nicht mehr in Erscheinung.
Im ersten Jahr lässt sich der Verein als „Leipziger Bibliophilen-Abend“ (LBA) mit den Rechten einer juristischen Person ins Vereinsregister eintragen. Ein Satzungsentwurf steht dann auf der Tagesordnung der Generalversammlung der GdB im Herbst 1905 in Leipzig. Die Begrenzung der Mitgliederanzahl ab 1905 hat dem LBA auch den Namen „Leipziger 99“ eingebracht.
Zu den Höhepunkten des Vereinslebens gehören „Jahresessen“ und bibliophile Jahresgaben. Die erste Jahresgabe des LBA ist anlässlich des ersten Jahresessens am 25. Februar 1905 an die Vereinsmitglieder verteilt worden, eine Nachbildung der Singenden Muse an der Pleiße von Sperontes, Leipzig 1736. Zwar betrug die Anzahl der gleichzeitig zum Verein gehörenden Mitglieder stets 99, aber durch oftmaligen Wechsel im Laufe der Jahre und Nachrücken aus der langen Liste der „Vorgemerkten“ zählte der Verein von Anbeginn bis zu seinem letzten Tag 237 Mitglieder.
1933: Der vorerst letzte Tag
Dieser letzte Tag ist der 29. April 1933 – der Tag der Inthronisation der Nazi-Sieger im Leipziger Rathaus. Unter dem Druck der Ereignisse, gerade eben an diesem Tag, sieht sich der allseits beliebte jüdische Vorsitzende des LBA Gustav Kirstein zu einem Rundbrief an alle Vereinsmitglieder veranlasst, das vorgesehene Jahresessen auf den „Beginn des Wintersemesters“ zu verschieben. Es bleibt das letzte Dokument, man trifft sich offiziell nicht mehr, es ist für lange das Ende des LBA.
Die verlangte NS-Gleichschaltung stößt auf Ablehnung bei den Mitgliedern, man geht still auseinander, ohne sich juristisch aufzulösen. So bedurfte es auch 1991 nur einer Wiederbegründung des LBA mit den schon im einstigen Kulturbund der DDR wirkenden Leipziger Bibliophilen ...
Aus den in den einzelnen Gaben enthaltenen Empfängerlisten konnten die Namen der Mitglieder und deren Verweildauer im historischen Verein rekonstruiert werden. Die Mitglieder gehörten in der Reihenfolge ihrer Anzahl folgenden Berufsgruppen an: 38 Verleger und Verlagsbuchhändler, 33 Wissenschaftler, 19 Buchhändler und Antiquare, 18 Rechtsanwälte und Juristen, 17 Bibliothekare, 15 Mediziner, 12 Lehrer an der Akademie für Graphische Künste und Buchgewerbe, 12 Prokuristen, 11 Druckereibetreiber, 9 Kaufleute, 8 Pädagogen, 7 Redakteure, Publizisten, 5 Rauchwarenvermarkter, 4 Komponisten und Musiker, 4 Kunsthändler und Kunstsammler, 4 Musikalienverleger bzw. -händler, 3 Militärs, 2 Buchbindereibetreiber, 2 Maler, Grafiker, 2 Regisseure, Dramaturgen, 2 Schriftsteller, 2 Geologen, 2 Oberbürgermeister, 2 Fabrikanten, 1 Bankier, 1 Buchhalter, 1 Finanzbeamter, 1 Gastwirt.
Die Liste der Mitglieder, für die ab 1933 eine Zeit begann, die sich mit dem Titel Gemaßregelt, verjagt, in den Tod getrieben fassen lässt, ist erschütternd lang, es finden sich eine Reihe großer Namen darunter, die aufs Engste mit der Geschichte der Stadt Leipzig verbunden sind: Adolf Aber, Moritz Wilhelm Breslauer, Ernst Theodor von Brücke und Carl Goerdeler, Max Goldschmidt-Goepel, Henri Hinrichsen, Erwin Jacobi, Leo Jolowicz, Gustav Kirstein, Alwin Kronacher, Erich Anselm Marx, Hermann Michel, Rudolf Schick, Levin Ludwig Schücking, Georg Steindorff, Fritz Weigert, Martin Winkler, Georg Witkowski, Kurt August Paul Wolff und viele, viele andere.
(Peter Uhrbach/Leipziger Internet-Zeitung)