nach einer Grafik von Susanne Theumer
Wo ich nicht mehr sein will. Wo nur der Wind noch wohnt. Herangekarrt erstmal die Steine, damit man später sagen kann: Wie außen, so innen. Die alte Ziegelei. Weil die Bäume wieder ungehindert wachsen, weil die Büsche die wärmespendenden Wände lieben, liegt die Fabrik wie hingeduckt im Gelände. Der Schornstein abgerissen. Wahrscheinlich war er zu baufällig schon, um noch als Antennenmast dienen zu können.
Und hatte so ein schönes Tor, würde Onkel Robert wohl sagen. Der immer hier gewohnt hat. Für den die Ziegelei ein Segen war. Erst der Betrieb sicherte das Einkommen für die Familie. Die Landwirtschaft reichte nicht mehr, weißt du, wir hätten einen größeren Hof gebraucht. Bei euch im Osten war das anders. Da hatten sogar die Bauern mal Urlaub. So blieb mir noch die Nebenerwerbs-landwirtschaft. Die Tongruben in der Nähe. Und auch das Wasser vom Fluss. Über viele Jahre hinweg. Als dann der Ton zur Neige ging, wurde es zum ersten Mal kritisch. Aber dann konnten wir den von drüben holen. Von euch. Für wenig Geld.
Ich stell’ mir vor, wie über das Anschlussgleis der Ton hier ankam. Wie er in die großen Bottiche kam und von dort in die Formenhalle. Dann der Brand. Tag um Tag. Nein, der Ofen konnte auch mal ausgeh’n, nicht wie bei Glas. Den Ofen bestücken, ich höre das Wort noch. Wie seltsam Onkel Robert manchmal sprach. Gebrannte Steine für das Land, Ton für Brot.
Zwischen den Ziegeln bröckelnder Mörtel. Moosgrün. Birkenruten. Was schnell wächst, setzt sich zuerst fest. Wie durch ein Lichtgitter hindurch der Blick auf die alte Fabrik. Wer sollte das Werk denn abreißen. Das machen sie doch nur, wenn sie das Grundstück brauchen. Für Felder auf Dauer unbrauchbar. Wer weiß, wie viel Ziegelschutt unter der Grasnarbe liegt. Aus Rot im Grün wird Grün im Rot, und nicht mehr lange, und es ist nur ein Schimmern dunkler Wände zwischen dem wuchernden Grün noch wahrnehmbar. Den Rückbau, mein Junge, müssen wir nicht machen, das holt sich die Natur von ganz allein.
Zeitenreste. Vom Ziegelzaun noch ein paar Fundamente. Die Tortürme halb zerfallen. Stützen die Steine die Bäume oder die Bäume die wacklig gewordenen Tormauerreste? Das Huschen von Tieren im Gras. Schwalbenflug um die alten Lagerhallen. Hinter der Fabrik in den Wiesen haben Pferde Auslauf. Längst sind die Souvenirjäger durch, die letzten Verkaufsmuster verloren. Vielleicht finden sie sich noch in einem der Häuser im Dorf, von Mitarbeitern bewahrt. Häherkreisen. Im Sommer vielleicht mal ein flatterndes Kleid. Winters nichts als das Knarren der Äste im Wind. Und sein Sirren über die alten Mauern hinweg, das wieder sumpfiger werdende Land. Der Horizont ist eine graue Linie am Ende meines Blicks.
Anmerkung: Der Text entstand während der alljährlichen Südthüringer Literaturwerkstatt, bei der Pirckheimer-Freund André Schinkel seit 2015 die Prosaklasse leitet. Bei den Schreibwochenenden in der Rhön oder zuletzt in Rohr kamen auch Reproduktionen von Kunstwerken, so Radierungen von Susanne Theumer sowie Gemälden und Zeichnungen Frank Hauptvogels, inspirativ zum Einsatz.
(Holger Uske)