Pirckheimer-Blog

Empfehlung für den Bibliophilen

Do, 15.08.2024

Thomas Rackwitz: "Urknallstaub", erschienen in der Lyrik Edition NEUN – Grafiken von Steffen Büchner.

Thomas Rackwitz: „Urknallstaub“

In der von Steffen Marciniak und Patrick Hattenberg herausgegebenen feinen Lyrik Edition NEUN erschien als Band 27 eine schmale, schöne Kompilation Gedichte von Thomas Rackwitz, mit Grafiken von Steffen Büchner versehen, unter dem Titel Urknallstaub. Rackwitz, der seit einer Reihe von Jahren im Harz lebt und für seine nunmehr sechs Lyrikbände und vier Kinderbücher mehrfach geehrt wurde, pflegt darin eine zugleich hohe wie kontemporäre Sprache, die einen anfasst und zuweilen mit einer Prise dunkler Coolness berührt. Das Büchlein, das mit einem Sonettenkranz eröffnet wird, ist so der Melange – zwischen den Brüchen der Ären und dem Willen zum Ordnen des Chaos, das uns anblickt – auf eine ganz unnachahmliche Weise auf der Spur. Schon die reguläre Ausgabe ist dabei für überaus handfreundliche 9 Euro ... und die Vorzugsausgabe samt beigelegtem Blatt für 33 Euro zu haben. Beide Editionen sind signiert. Alle Infos dazu bei: Verlag der 9 Reiche.

(André Schinkel)

Di, 13.08.2024

Das Skizzenbuch. | © SPK/Liesa Johannssen/photo-thek.de, Eigentum der Ernst von Siemens Kunst-stiftung, des Kupferstichkabinetts – Staatliche Mu-seen zu Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, des Kupferstich-Kabinetts der Staatlichen Kunst-sammlungen Dresden, der Klassik Stiftung Weimar, Direktion Museen. Erworben mit Mitteln der Kultur-stiftung der Länder sowie für Dresden mit Unter-stützung der Liebelt-Stiftung HH, von Dr. Henning Hoesch, dem Verein der Freunde des Kupferstich-Kabinetts Dresden e. V., Dr. Martin Schröder, Michael und Elke von Brentano und weiterer Spender. Das Buch wird 2024 in Berlin, Dresden, Weimar gezeigt.

CDF: Das Karlsruher Skizzenbuch bleibt in Deutschland bewahrt

Es war wohl die Top-Nachricht in Auktionsdingen im Juli: Das berühmte „Karlsruher Skizzenbuch“ Caspar David Friedrichs (1774–1840) bleibt in Deutschland und in öffentlicher Hand. CDF, dem in diesem Jahr zum 250. Geburtstag mit einer Reihe illustrer Ausstellungen und Veranstaltungen (der Blog berichtete) unter teilweise höchstrangiger Schirmherrschaft gedacht wird, war wohl der größte und bedeutendste Maler und Grafiker der Romantik, sein landschaftsmalerisches Werk ist von Weltgeltung. Mit dem Büchelchen, das vor allem Skizzen und Vor-Studien zu den größeren Werken beinhaltet, gelang der deutschen Kulturöffentlichkeit nicht nur ein Coup im Bewahren des Werks für die interessierte Öffentlichkeit, sondern ein Musterbeispiel dafür, wie sehr Eintracht und Gegenseitigkeit bei den Instanzen für ein gutes Ende sorgen kann, das in einer paritätischen Präsenz des Werkes gipfelt, sprich – die Sache wird an den Orten, die im Verbund mit einer Reihe einzelner und privater Spender sowie Vereinen die erbotenen 1,8 Millionen Euro auf den Tisch legten, im regen Rundum zu sehen sein. Nur noch ein paar Tage wird es, das eines von sechs erhaltenen von CDFs Skizzenbüchern ist, im Kupferstichkabinett in Berlin zu sehen sein, bis es danach in eben dieses in Dresden wandert und schließlich ab November von der Stiftung Weimarer Klassik in der Stadt am Ufer der Ilm gezeigt wird. „Mit diesem beherzten Coup krönen wir das Caspar-David-Friedrich-Jahr. Uns allen war klar, dass wir dieses bedeutende Werk in Deutschland bewahren müssen. Ich bin glücklich und dankbar, dass uns das im guten Miteinander der großen deutschen Kulturstiftungen gelungen ist“, sagt Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, dazu. Ein Kultur-Joint-Venture, das den Namen verdient und Schule machen möge.

(André Schinkel)

Mo, 12.08.2024

Auch von Ian Fleming: "Tschitti-Tschitti-Bäng-Bäng".

Am 60. Todestag von Ian Fleming: „Tschitty-Tschitty-Bäng-Bäng“

Den Meisten wird Ian Fleming (1908–1964) als „Mister Bond“ vertraut sein: Seine James-Bond-Romane, die ab den frühen Fünfzigern des letzten Jahrhunderts erschienen, schufen eine der wohl ikonischsten fiktiven Figuren der letzten hundert Jahre. Bond-Verfilmungen sind bis heute „der“ Burner in Hollywood, die Hauptdarsteller des im Namen der britischen Majestät umtriebigen Agenten mit der Nummer 007 wurden allesamt Kult. Neunzig Prozent der Geschichten, behauptete Fleming selbst, waren nicht ausgedacht und gingen auf seine Zeit als Agent und Spion im Zweiten Weltkrieg zurück. Titel wie Casino Royale (1953), Live And Let Die (1954), Doctor No (1958) oder Goldeneye (1959) wurden zu Straßenfegern, ja, geflügelten Begriffen. Erwähnt werden soll noch, dass Ian Fleming für seinen Sohn Casper ein ähnlich berühmt gewordenes Kinderbuch schrieb: Tschitti-Tschitti-Bäng-Bäng. Die Abenteuer eines Wunderautos. Es liegt auch in deutscher Sprache in mehreren Ausgaben, in Noten, als Musical, Hörspiel und -buch vor, auch wenn es im Moment selbst antiquarisch schwer zu bekommen ist. Heute vor 60 Jahren starb Fleming in Canterbury. 

(André Schinkel)

Sa, 10.08.2024

Marie T. Martin: "Der Winter dauerte 24 Jahre. Werke und Nachlass", Leipzig: im Poetenladen Verlag 2024, fadengeheftet, Hardcover mit Schutzumschlag und Lesebändchen sowie zahlreichen Illustrationen von Franziska Neubert, Nachsatz von Norbert Hummelt, 432 Seiten, ISBN 978-3-94830-506-0, 32,80 Euro.

„Der Winter dauerte 24 Jahre“ – Das gesammelte Werk von Marie T. Martin im Poetenladen Verlag

Es ist, in den Vor-Iden des kommenden Bücherherbsts, ein beeindruckend junges wie Gesamtwerk zu vermelden: Die Dichterin und Erzählerin Marie T. Martin (1982–2021), dessen hier nicht ganz vollständig, aber zum größten Teil versammeltes Werk dieses so schöne wie wuchtige Kompendium in einem Band: Der Winter dauerte 24 Jahre, in ihrem Haus-, dem Leipziger Poetenladen Verlag eben vorlegt, ist leider viel zu früh gestorben, sie wurde keine vierzig Jahre alt. Das Editionshaus, das dies tut, ist für seine schönen Bücher im regulären Bereich bekannt, wurde dafür vielfach geehrt und ausgezeichnet; der Verlagsgründer und -leiter Andreas Heidtmann hat darin stets ein glückliches Händchen bewiesen – so auch hier, wo Heidtmann an der Seite von Hanna Lemke die Betreuung und Herausgeberschaft übernahm. Der knapp 440 Seiten fassende Band ist eine überaus gewichtige Kostbarkeit: Begleitet von den wunderbaren Illustrationen der augen:falterin Franziska Neubert und einem so berührenden wie erhellenden Nachwort von Norbert Hummelt ergibt sich, gedruckt auf bestem Papier, samt Hardcover und Schutzumschlag eine still-würdige Werkausgabe der jungen Dichterin, die schon nicht mehr unter uns ist. Das Buch versammelt ihre zu Lebzeiten erschienenen bzw. autorisierten Bücher Luftpost (2011), Wisperzimmer (2012), Woher nehmen Sie die Frechheit, meine Handtasche zu öffnen? (2015) und Rückruf (2021) sowie die namensgebende Sammlung mit kleiner Prosa aus dem Nachlass. Marie T. Martins Schreiben, das sich, auch wenn das Buch drei prosaische Zyklen enthält, aus den Tiefen der Lyrik à la Wisperzimmer und Rückruf speiste, wurde und wird bewundert, es schmerzt, zu wissen, dass dieses Werk, auch wenn es uns hier in einer seltenen Geschlossenheit ansieht, letztlich unvollendet bleiben wird. Umso wichtiger ist es zu sehen, dass dank der Unterstützung ihres Heimatbundeslandes und vor allem des Engagements von Hanna Lemke, Andreas Heidtmann sowie Norbert Hummelt diese Ausgabe möglich wurde. And by the way: Die Grafiken von Franziska Neubert sind in diesem Kontext wie überhaupt ein Ereignis. Ein schönes und ergreifendes Editionsprojekt – dem man wünscht, seine ursprüngliche Schöpferin hätte es noch in die Hände nehmen können. Vielleicht spricht man längst in den Äthern darüber ... – Feinstes Buchhandwerk auf höchstem Niveau in allen beteiligten Gewerken: aus Leipzig, natürlich. 

(André Schinkel)

Do, 08.08.2024

Thomas Franke liest aus "Der Orchideengarten", ein Journal-Reprint erschien bei Zagava in Düsseldorf.

Am 28. August – mit Thomas Franke im „Orchideengarten“ unterwegs

Autor, Schauspieler, Herausgeber und landesweit als Freund der Bücher bekannt: Thomas Franke lädt für den 28. August (Obacht: Goethegeburtstag!), 19.30 Uhr, zur Lesung Erzählungen aus alten Schwarten / z. B. „Der Orchideengarten“ in die Bonner Altstadtbuchhandlung & Büchergilde (Breite Straße 47, 53111 Bonn) herzlich ein. Dazu heißt es: „Die Zeitschrift Der Orchideengarten mit dem Nebentitel Phantastische Blätter erschien von 1919 bis 1921 mit 51 Nummern. Einige namhafte Schriftsteller wie z. B. Alexander Moritz Frey, Oskar Maria Graf, Klabund, Hermann Harry Schmitz und Grafiker des Phantastischen hatten dort ihre ersten Veröffentlichungen, allerdings präsentierte man auch Geschichten solcher Klassiker wie Arthur Conan Doyle, H. G. Wells oder E. T. A. Hoffmann.“ Weiter schreibt Franke: „Der Orchideengarten war ein Magazin, in welchem ich sowohl meine Bilderchen als auch meine Erzählungen gerne veröffentlicht hätte, denn das Niveau der in diesem Kompendium gedruckten Werke befand sich auf einem sehr hohen Niveau.“ Der Eintritt zur Lesung beträgt 9 Euro, Getränke inbegriffen. Im September setzt Thomas Franke seine kleine Lesetournee durch die Bonner Altstadt fort. Der Blog wird dazu rechtzeitig berichten. 

(André Schinkel/Pressemitteilung)

Di, 06.08.2024

Klopstock (1724–1803) gilt als größter Dichter der Epoche der Empfindsamkeit und Pfadbereiter der Literaturbewegung um 1800. Seine Oden, Elegien, politischen und theoretischen Schriften wie sein Messias-Epos gehören zum Kanon der Weltliteratur.

Klopstock: „Die Sommernacht“

Wenn der Schimmer von dem Monde nun herab
     In die Wälder sich ergießt, und Gerüche
          Mit den Düften von der Linde
               In den Kühlungen wehn;

So umschatten mich Gedanken an das Grab
     Der Geliebten, und ich seh in dem Walde
          Nur es dämmern, und es weht mir
               Von der Blüte nicht her.

Ich genoß einst, o ihr Toten, es mit euch!
     Wie umwehten uns der Duft und die Kühlung,
          wie verschönt warst von dem Monde,
               Du o schöne Natur!

Diese wunderbare Ode Friedrich Gottlieb Klopstocks, dessen Geburtstag sich 2024 zum 300. Mal jährte, entstand 1776 und gehört zu den schönsten Texten dieses ersten großen Dichters der jüngeren Neuzeit. Soeben entstand auch zum Text eine originalgrafische Mappe mit Radierungen von Susanne Theumer und Holzschnitten Frank Eißners: Davon wird an dieser Stelle noch zu berichten sein. Klopstock gilt als deutscher Vertreter der Weltliteratur im Vorfeld Goethes, Schillers, Hölderlins, in der Epoche der Empfindsamkeit als einzigartiger Liebes- und religiöser Dichter.

(André Schinkel)

Di, 30.07.2024

"Das doppelte Lottchen", das Cover von Walter Trier.

Erich Kästner zum 50. Todestag

„Wer wagt es, sich den donnernden Zügen entgegenzustellen? / Die kleinen Blumen zwischen den Eisenbahnschwellen!“ Das dürfte eines seiner Couplets sein, für das Erich Kästner (1899–1974), dessen Todestag sich am gestrigen 29. Juli zum fünfzigsten Mal jährte, bis heute verehrt und geliebt wird. Das umfangreiche Werk des Weltliteraten aus Dresden ist bis heute relevant, namentlich eine Reihe seiner Gedichte und Romane, aber vor allem auch seine bis heute zur Schullektüre zählenden Kinderbücher wie Das fliegende Klassenzimmer (1933) oder Das doppelte Lottchen (1949) sind beliebt geblieben, erzählen sie doch vom Wichtigen und Guten, wie es die Leserschaft auf die unnachahmliche Kästner-Weise ansieht Vers für Vers, Absatz für Absatz. Und so ist es auch kein Wunder, dass der Dichter, Erzähler, Romancier, Dramatiker und Verfasser weitläufig verstreuter Memoiren im gestrigen Feuilleton gewürdigt und geehrt wurde. Eine Stimme wie die seine, die zu Lebzeiten eine Vielzahl Fährnisse ihres Besitzers sah (so war Kästner am 10. Mai 1933 bei der Verbrennung seiner Bücher durch die Nazis anwesend), sie würde wohl auch in der wegbrechenden Gegenwart gebraucht. Als Kästner 1974 im Münchner Klinikum Neuperlach starb, hatte er sich schon lange aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Seine Bücher, seine Gedichte und Geschichten, seine tollen Kinderbücher, viele mit den bekannten Covern von Walter Trier (1890–1951), bleiben.

(André Schinkel)

Mo, 29.07.2024

Das Gleimhaus, ein Hort der Freundschaft, ehrt F. G. Klopstock. | © Archiv Gleimhaus (via CC BY-SA 3.0)

Klopstock und die Freundschaft

Das Ausstellungsprojekt Klopstock und die Freundschaft ist im Gleimhaus zu Halberstadt aus Anlass des 300. Geburtstages von Friedrich Gottlieb Klopstock (1724–1803) seit dem 30. Juni und noch bis zum 29. September zu sehen. Sie beleuchtet nicht nur ausgewählte Freundschaften des Dichters wie etwa diejene mit Johann Wilhelm Ludwig Gleim (1719–1803), sondern thematisiert auch die Bedeutung der Freundschaftskultur für die Literaturentwicklung und umgekehrt. Deutlich wird, dass Klopstock Teil einer großen Freundschaftsbewegung war, jedoch in seiner literarischen Ausdrucksweise Singularität beanspruchen kann. Zur Ausstellung wird im Gleimhaus ein sehr umfangreiches Begleitprogramm geboten mit Vorträgen, Lesungen, szenischem Spiel ... Interaktive Stationen laden zur Reflexion und Selbstreflexion ein. Alle Infos auf der Webseite des Hauses.

(André Schinkel/Pressemitteilung)

So, 28.07.2024

Hubert Schirnecks neues Buch „Der Tag der zweiten Wirklichkeit“ – erschienen in der Edition Hibana von Florian L. Arnold. Das Buch enthält eine Erzählung und zwei Zyklen Gedichte; es wurde vom Verleger vollständig farbig illustriert und komplett gestaltet.

Hibana: Hubert Schirnecks „Der Tag der zweiten Wirklichkeit“

Feinstes Buchwerk (zum überschaubaren Preis), das ist das Credo von Florian L. Arnold, der in Oberelchingen die Edition Hibana betreibt, ja, und er formuliert es selbst triftig mit: „Erwarten Sie alles!“ Und weiter heißt es: „Das Programm ist ganz einfach: Texte, die der Verleger wichtig und gut findet – ganz unabhängig von vermuteten Verkaufschancen. Hibana kann sich das erlauben, weil das Label unabhängig ist. Hier gibt es Bücher für Erwachsene, die sich mit guter Sprache und originären Inhalten auseinandersetzen.“ Der Verleger schätzt Autoren, die etwas auf der Textkante haben, Eigenartiges, Sonderbares, Seltenes und/oder Hinreißendes, das berührt, schmunzeln oder staunen macht. Und hat einen wunderbaren Glücksgriff getan mit Hubert Schirnecks Der Tag der zweiten Wirklichkeit, das die integrale Erzählung Der Tag des unablässigen Mondes enthält und eine Reihe Gedichte, die sich in den Zyklen Ausordnen und Totentänze gruppieren. Die Sprache des mehrfach geehrten Weimarer Dichters und Erzählers, der auch als Kinderbuchautor bekannt wurde, ist hier von einem innigen, geheimnisvollen, zuweilen skurrilen Timbre, und die Anlage und Anordnung der Texte saugt in diesen vollständig farbig von Arnold gestalteten und illustrierten Band kräftig hinein, dass einem schwirrig wird und ganz erhaben zugleich. Dunkel geht es da zu, leis oder epigrammatisch: „alles glück ist / von der lebensdauer / eines tropfens / der von einem blatt ins moos fällt // dieses leben lang / schläft der weg unter dir“; und am Ende zieht der Tod sich die Schürze an, die mit den Gänseblümchen. Darum gebaut sind die herrlichen Blätter und Farbgewitter Florian L. Arnolds, eine reiche Fülle auf gerade 88 Seiten. Was. Für. Ein. Schönes. Buch. (Hubert Schirneck: Der Tag der zweiten Wirklichkeit. Kurzprosa, Gedichte. Illustriert von Florian L. Arnold. Oberelchingen: Edition Hibana 2024, 88 Seiten, durchgehend farbig, Hardcover und Fadenheftung, im Format von 12 x 19 cm, Auflage limitiert auf 130 Exemplare, ISBN 978-3-946423-28-7, 21 Euro.)

(André Schinkel)

Sa, 27.07.2024

Roland Müller: „Caspar David Friedrich. Gedichte zu Bildern“, Moloko Print Bd. 226, Schönebeck: Moloko Plus 2024. KlBr., 60 S., ISBN 978-3-910431-35-5, 15 Euro, die Umschlagillustration von Lear Dark Rifflec.

Caspar David Friedrich: Roland Müllers Gedichte zu Bildern

Roland Müllers Werk ist ein noch weithin zu entdeckendes, der Großteil seiner Gedichte, Zyklen, Glossen und kleinen Geschichten erschien im Eigenverlag. So hat dieser Dichter eine eigenständige Heftreihe begründet, in dem, jahrgangsweise oder auch thematisch geordnet, seine Texte erscheinen. Der aus dem südlichen Brandenburg stammende und lange in Dresden Lebende indes bewegt sich in einem kleinen Netz- und Austauschwerk, und so kommt sicher auch die feine Publikation bei Moloko Print zustande, in der unter der Reihennummer 226 sich seine lyrischen Adaptionen und Exegesen zum diesjährigen, seinen 250. Geburtstag begehenden Jubilar Caspar David Friedrich in diesem Frühjahr erschienen. Und das ist ausdrücklich zu begrüßen, setzt doch Müller, unterstrichen mit dem gelb-schwarzen Cover des Nachfolgers seines 2021 im Radochla-Verlag erschienenen Gedicht-Bild-Bandes DenkMale in Dresden noch einmal einen erheblichen Aufmerksamkeitspunkt: auf CDF einerseits wie auch auf seine stille wie unbeirrbare, wie Friedrichs Kunst gegenständliche und doch leise schwirrende, nein, oft schwebende wie schwere ... meist konstatierende, teils fragende dichterische Arbeit. Roland Müllers Gedichte leben von geordneter, aus der Tradition schöpfender Metrik, die den Gedanken durch die Textur führt und von einem, in dieser von Chaos gezeichneten Epoche zumal, berückenden Reiz ist: alternierend, klassisch gereimt, ganz da und doch auch über die Zeit tönend, wie es einem Gegenstand wie CDF und dessen Jubiläum angemessen ist. Jedem der Texte ist ein Kunstwerk von Friedrich beigestellt, das behutsam vom Autor, in seinem Berufsleben eine Zeitlang typografisch tätig, mit einer speziellen Methode stets ein My neben die Spur gesetzt ist. Ergänzt durch die Cover-Adaption von Lear Dark Rifflec, wundervoll gestaltet, ergibt sich mit den so sicher wie zerbrechlich sprechenden Texten Roland Müllers ein schönes Buch, das man mit sich herumtragen mag. Dem Mann und seiner künstlerischen Arbeit im Weinberg des Nowendigen, ja, und Triftigen ist Aufmerksamkeit zu wünschen und dass sich Moloko seiner dauerhaft annimmt. 

(André Schinkel)

Do, 27.06.2024

Die "Bücherkinder" lasen am 17. Juni 2024 in Berlin.

Ansprache zur Lesung in Berlin

Geleitwort zur Veranstaltung der Brandenburger Bücherkinder in Berlin am 17. Juni 2024

Es gibt in vielen von uns das Bedürfnis, die Unruhe, die uns bewegt, zu artikulieren. Diese Unruhe ist mächtiger als die Versuchung, diese nicht zur Kenntnis zu nehmen. So ähnlich ist es zu lesen bei Christa Wolf in Lesen und Schreiben. Darum auch bei uns, den Bücherkindern Brandenburg, der Versuch, sich durch Produktivität mittels kultureller Arbeit mit Kindern dieser Unruhe zu stellen. So dürfen Sie auch unser Motto verstehen, wenn wir darin Bertolt Brecht zitieren: „Unser Heute geht gespeist durch das Gestern in das Morgen.“

Eine Unruhe hat mich als Pädagogen schon immer begleitet und inspiriert. Dabei waren Bücher und Kunstwerke wichtige Lebensmittel und Begleiter, um die Welt zu verstehen und vielleicht ein wenig zu ändern. Kann man das? 1989/1990 entstand so auch die Jugendkunstschule Galerie Sonnensegel mit Hilfe von 150 Künstlern aus Ost und West. Und ab 2009 gab es dann in meinem Unruhestand eben diese Arbeit mit den Bücherkindern an der Evangelischen Grundschule am Dom mit bisher weit über 100 Kindern und Jugendlichen. Einige haben wir heute hier.

Auch hier der Impuls aus der Literatur – wenn Christa Wolf schreibt: „Man kann nichts wünschen, wovon man nichts weiß.“ Ein weiterer Gedanke: Das Maximierungsdenken im Westen der Welt, bei uns in der Bundesrepublik, hat uns in eine Krise geführt, aus der wir uns zu befreien versuchen. Stephane Hessels Engagiert euch! gab hier Impulse wie auch Volker Braun: „es müsse der SINN maximiert werden.“ Mit unserer Arbeit rufen wir auf zu einem friedlichen Aufstand gegen Massen-Kommunikations-Mittel, die der Jugend keine Perspektive bietet und nur den Massenkonsum, Verachtung von Kultur und Bildung, Flüchtigkeit, Geschichtsvergessenheit und Ego-Trips zeitigt. 

All das gefährdet unsere Demokratie, so dass der Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier uns alle ermahnt. Wir sollten uns fragen, warum all das sowenig bemerkt wird. Heute geben wir Ihnen einen kleinen Einblick in ein Modell, mit dem wir auch der Kognitionswissenschaft in Los Angeles, Stavanger, Ljubljana und Jena in Teilen folgen. Gern möchten wir Dank sagen, dass dies in Zeiten der Demokratiegefährdung von den Einladenden und Freunden gewertschätzt und gefördert wird.

Ich sage Dank an den Ministerpräsidenten des Landes Brandenburg, Dr. Dietmar Woidke, an die Leiterin der Landesvertretung Brandenburg, Dr. Friederike Haase, mit ihrem Team, und ich habe zu danken der Pirckheimer-Gesellschaft, die uns so viele Jahre als Träger begleitet und fördert. Großen Dank der Christa Wolf Gesellschaft, deren Gründungsmitglied ich bin und die auch seit Jahren an unserer Seite ist, wie zudem der Anna-Seghers-Gesellschaft, die bei unserem Friedensbuch uns sehr geholfen und die Texte der Kinder im Argonautenschiff 2024 veröffentlicht hat. 

Wir danken dem Bildungsministerium für die Förderung mit Lotto-Mitteln und dem LJR Brandenburg für die Teilförderung unserer Arbeit. Großen Dank der Evangelischen Schule am Dom zu Brandenburg (Havel); und Dank auch an Wolfgang Hempel von der Wilhelm-Fraenger-Gesellschaft, die uns den Liedermacher, die Musik mit Andreas Frye, für heute gesponsort hat. 

(Armin Schubert)

Mo, 17.06.2024

Auf nach Magdeburg! Vom 13. bis 15.09. findet in der Ottostadt die Jahrestagung der Pirckheimer statt.

Pirckheimer-Jahrestreffen und Mitgliederversammlung 2024

Vom 13. bis 15. September treffen wir uns zum 51. Pirckheimer-Jahrestreffen in der Ottostadt Magdeburg, der Landeshauptstadt von Sachsen-Anhalt. Am Freitag können sich, nach Anmeldung und Ausgabe der Tagungsunterlagen im Hotel, Interessierte um 14.30 Uhr zu einer Stadtführung (gegebenenfalls in zwei parallelen Gruppen) rund um den Magdeburger Dom treffen, der auch den Ausgangspunkt der Führung bildet. Hier erfahren wir etwas aus der Geschichte der Stadt und können uns ein Bild von ihrer reichen Architektur machen. Alternativ ist eine Besichtigung der Johanniskirche (Johannisberg 1) mit den von Max Uhlig geschaffenen Fenstern möglich. Dieses Kirchenfensterensemble gehört nach Anspruch und räumlicher Dimension zu den größten Werken dieser Art in Deutschland, das nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist. Bei der Anmeldung zum Jahrestreffen bitten wir aus organisatorischen Gründen Teilnehmerinnen und Teilnehmer um Benachrichtigung, ob die Teilnahme an der Stadtführung oder an der Kirchenführung gewünscht ist.

Ab 18 Uhr eröffnet im Literaturhaus Magdeburg, Thiemstraße 7, die Jahresausstellung unserer Schwesterorganisation Verein der Bibliophilen und Grafikfreunde Magdeburg und Sachsen-Anhalt e.V. „Willibald Pirckheimer“. Sie feiert in diesem Jahr ihr 30-jähriges Gründungsjubiläum – auch wenn die vollständige Geschichte der Magdeburger Pirckheimer bis ins Jahr 1964 zurückreicht. Im Mittelpunkt stehen Almanache und Bücher der Edition Augenweide unter dem Titel Common Sense – Künstlerbücher der Edition Augenweide. Die Betreiber von Common Sense und Edition, Ulrich Tarlatt und Jörg Kowalski, sind anwesend und kommen gern mit uns ins Gespräch.

Nach einer Begrüßung am Samstag um 10 Uhr durch die Oberbürgermeisterin Simone Borris im Forum Gestaltung (Brandenburger Straße 10, 39104 Magdeburg) gibt uns der Geschäftsführer des Forums einen Einblick in dessen Geschichte, seine Absolventen und Lehrer aus der Zeit der Kunstgewerbe- und Handwerkerschule bis hin zum heutigen Veranstaltungsort und seinen Sammlungen. Im Anschluss wird er durch die Ausstellung Ganz modern führen und die Teilnehmer über das Wewerka-Archiv informieren. Nach der für alle individuellen Mittagspause gibt es vier verschiedene Programmpunkte, wobei wir bitten, sich für eine zu entscheiden. Entsprechende Listen werden bei der Anmeldung am Freitag ausliegen. Die erste Gruppe trifft sich bereits um 14 Uhr am Kunstmuseum in der Regierungsstraße 4–6. Hier führt die Direktorin des Kunstmuseums Kloster Unser Lieben Frauen, Annegret Laabs, durch das Haus, seine Geschichte und die Ausstellung. 

Die zweite Gruppe findet sich um 14.30 Uhr an der Universitätsbibliothek Magdeburg, Gebäude 30, Universitätsplatz 2 ein. Der Stifter Professor Wolfram Neumann führt durch die Ute-und-Wolfram-Neumann-Stiftung. Die Stiftung hat sich der Erhaltung und Pflege der Buchkultur – auch im Verhältnis zu diversen anderen Medien – verschrieben, indem sie Entstehung, Bedeutung und Einfluss literarisch wertvoller Buchreihen auf Bildung und Bewusstsein untersucht und einer größeren Öffentlichkeit bekannt macht. Gruppe drei trifft sich ebenfalls um 14.30 Uhr in der Stadtbibliothek Magdeburg, Breiter Weg 109. Hier zeigt uns Maik Hattenhorst Kostbarkeiten aus dem Depot und führt durch die Ausstellung zur Reformation.

Die vierte Gruppe trifft sich um 14.30 Uhr am Kulturhistorischen Museum Magdeburg, Otto-von-Guericke-Straße 68–73. Im Mittelpunkt dieses Treffens steht die Graphische Sammlung des Museums, die uns durch Karin Kanter nähergebracht wird. Um 18 Uhr treffen wir uns im Kloster-Café in der Regierungsstraße 4–6 zum gemeinsamen Festessen. Hier nehmen uns zwischen den Menügängen Charlotte Buchholz und Lothar Günther mit auf die Reise von Bibliophilen und Bibliomanen. Anschließend, gegen 20 Uhr, findet eine Versteigerung zugunsten des Vereins statt. Wir bitten um rechtzeitige Einreichung von Büchern oder Grafiken. Die Versteigerung koordiniert unser Vorsitzender Matthias Haberzettl (Mail: haberzettl@pirckheimer-gesellschaft.org, Post: Ramsbergstraße 12, 86156 Augsburg). Wir bitten um das Einlegen von Zetteln mit Vorschlägen, auf denen sich Interessenten eintragen. Versteigert werden Artikel mit mehr als einem Bieter.

Am Sonntag endet das offizielle Programm des Jahrestreffens wiederum im Forum Gestaltung mit unserer Mitgliederversammlung von 10 bis etwa 12 Uhr. Bei Interesse am Besuch der Galerie Grimm, Jean-Burger-Straße 2, und der dort ansässigen Siebdruckwerkstatt ist eine Anmeldung parallel zum Jahrestreffen erforderlich. Die Anmeldung zum Jahrestreffen erfolgt mittels Überweisung der Tagungsgebühr von 110 Euro pro Person auf unser Konto: IBAN: DE28 1001 0010 0649 8141 06, BIC: PBNKDEFF unter dem Stichwort „Jahrestreffen 2024“. Bitte melden Sie sich parallel per E-Mail oder via Briefpost bei unserem Schatzmeister Hans Rabenbauer (E-Mail: rabenbauer@pirckheimer-gesellschaft.org, Post: Tübinger Str. 5, 86399 Bobingen). 

Bei Fragen zum Programm stehen Ihnen die Organisatoren Ralf und Sigrid Wege zur Verfügung (sigrid.wege@pirckheimer-magdeburg.de). Reservierungen aus einem Hotelkontingent sind bis 02. August 2024 unter dem Stichwort „Pirckheimer“ im Hotel Ratswaage, Ratswaageplatz 1–4 (Telefon: 0391–5926192/0391–5926193, E-Mail: reservierung@ratswaage.de) möglich. Es sind 10 Einzelzimmer mit Frühstück à 72 Euro pro Nacht und 20 Doppelzimmer mit Frühstück à 98 Euro pro Nacht reserviert. Die Zimmer stehen am Anreisetag ab 15 Uhr, am Abreisetag bis 12 Uhr zur Verfügung. Das Tagungshotel verfügt über gebührenpflichtige Parkplätze in der Tiefgarage. Einladung und Ausschreibung finden sich auch in der Ausgabe 253 der Marginalien. Dort ist auch die Einladung zur Mitgliederversammlung samt Tagesordnung zu finden. Auf nach Magdeburg!

(Sigrid Wege/Fotos: Robert Grieger)

Fr, 14.06.2024

Die Ausstellung "Komm, goldener Pfau ...!" widmet sich in der LBO der jiddischen Sprache und Kultur.

LBO: „Komm, goldener Pfau!“

Zu einer faszinierenden Ausstellung samt umfangreichem Beiprogramm unter dem Titel „Komm, goldener Pfau!“ Jiddisch neu entdecken lädt seit dem 30. Mai die Landesbibliothek Oldenburg (LBO, Pferdemarkt 15, 26121 Oldenburg) ein. In die LBO gelangte 1979 durch einen Tausch mit der Königlichen Bibliothek zu Kopenhagen eine jiddische Sammlung von etwa 200 Bänden. Sie enthält vor allem die moderne jiddische Literatur des 20. Jahrhunderts. Und: Die Sammlung soll an die Geschichte des Gebäudes als ehemalige Polizeikaserne mahnen, von dem aus jüdische Männer durch die Stadt getrieben und dann in das Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert wurden. „Es ist merkwürdig, wie wenig man in der nichtjüdischen Welt vom jüdischen Volk weiß. Dies ist heute nicht anders als in all den zweitausend Jahren, da die Juden mit den Völkern des europäischen Altertums und dann mit denen zusammentrafen, die erst im Mittelalter entstanden oder hervortraten“, schrieb Salomo Birnbaum (1891–1989) in seiner Praktischen Grammatik der Jiddischen Sprache (1915), ein Umstand, der sich, und in diesen wieder abgründigen Zeiten zumal, nicht zu geändert haben scheint. Die LBO-Ausstellung widmet sich dem Jiddischen in zwei räumlich getrennten Bereichen. Der erste Teil thematisiert einführende und allgemeine Aspekte des Jiddischen wie die Sprachgeschichte, Sprichwörter, jiddisches Vokabular im Deutschen, Witz und Musik. Dabei werden häufige Vorurteile gegenüber dem Jiddischen problematisiert und für den Umgang mit Jiddismen im Deutschen sensibilisiert. Symbol der Schau ist der Goldene Pfau (jiddisch: „di goldene pave“), ein mythisches Symbol aus einem jiddischen Volkslied. Im Hauptteil der Ausstellung sind viele wunderschöne Bücher der jiddischen Kultur und Literatur zu sehen. Im umfänglichen Beiprogramm finden Vorträge, Führungen, Sprachkurse und Konzerte statt. Die Exhibition ist bis zum 20.07. zu den LBO-Geschäftszeiten (Mo–Fr 10–19, Sa 9–16 Uhr) zu sehen.

(Landesbibliothek Oldenburg/Pressemitteilung)

Di, 16.04.2024

"Musashimaru" heißt der Held dieses Büchels – ein Nashornkäfer ... der mit den Kräften des Yokozuna, nach dem er benannt ist, vier Monate im Leben des Schreiberpaares rumwirtschaftet und dessen Tod, der unweigerlich kommt, dann große Trauer auslöst.

Buch des Monats I: „Musashimaru“

In memoriam Akebono Tarō

Wer ist Musashimaru? Musashimaru Kōyō ist ein ehemaliger Sumōtori, der zweite Ausländer, der in der höchsten Sumōklasse, der Makuuchi, je den Rang eines Yokozuna, eines Großmeisters der Kultsportart, erreichte. Seine kraftvolle Wucht in seiner aktiven Zeit war legendär. Seit 1996 ist der Samoaner japanischer Staatsbürger. Aber um ihn geht es in diesem Buch nur indirekt. Musashimaru ist der Name des Nashornkäfers, der der stille und zugleich vorwitzige Held dieses kleinen Buches von Choukitsu (oder auch: Chōkitsu) Kurumatani (1945–2015) ist. Über seine Kleinheit soll man sich nicht täuschen: Er hat Kräfte wie der Ringer, nach dem er benannt ist, und er schiebt Nacht für Nacht seinen Korb durch das neubezogene Haus, das der Erzähler, der mit dem Verfasser des Buchs quasi deckungsgleich ist, nach langer Durststrecke und plötzlichem Wohlstand, da ihn der literarische Ruhm und Erfolg spät, aber grad noch traf, mit seiner Frau, einer Dichterin, seit kurzem bewohnt. Frisst ferner beherzt Melone und strullt hernach ordentlich die Bude voll, vergeht sich im Hormonrausch am Finger des Erzählers und misst sich aus der Ferne mit einem Hirschkäfer, der, obwohl ihm ein viel längeres Leben prophezeit ist, lange vor ihm das Zeitliche segnet. Nun, aber einmal trifft es auch Musashimaru, aber da ist schon Winter und sein Überleben ein Wunder. Der Tod ist Kurumatanis, der selbst nach vielen Entbehrungen erst berühmt und (in Japan ist das wohl noch möglich) wohlhabend wird, großes Thema, es zieht sich durch sein ganzes unter erheblichen Schwierigkeiten erworbenes Werk; und eine sarkastische Volte seines Lebens ist, dass er 2015 an einem Bissen Essen erstickte. Dieses Büchlein hat die Grazie der Sumōtori, denn es ist behende und schwerwiegend zugleich. Es erschien in der schönen Übersetzung von Katja Cassing 2016 in der Edition des Cass Verlags in Bad Berka (64 Seiten, geb., Halbleinen, Fadenheftung, 11,5 x 18,5 cm, ISBN 978-3-944751-11-5); und die Zierde des Buches neben der schönen Verarbeitung sind sieben ganzseitige Illustrationen von Inka Grebner, die den Gang durch Musahimarus Leben zeigen, der Beinglied um Beinglied verliert und eines Morgens mit seinem Tod für große Trauer sorgt. Ein zart-seltsames Buch, das der Bibliophile gern im Herzen trägt und in seinen Beständen sicher weiß.

(André Schinkel)

Sa, 13.01.2024

Die drei Ausgaben des Buches. | © bei Robert Grieger

Jugenderinnerungen eines alten Berliners: Felix Eberty (1812–1884)

Aus Roberts kleiner Bücherecke

Georg Friedrich Felix Eberty (1812–1884), deutscher Jurist, Astronom, Autor, entstammt, wie Wikipedia weiß, der jüdischen Berliner Familie Ephraim. Er wurde als Sohn des Bankiers Hermann Eberty (1784–1856, 1810 Namensänderung von Ephraim zu Eberty) und dessen Frau Babette, geb. Mosson (1788–1831) geboren. Der Großvater Felix Ebertys war der Bankier Joseph Veitel Ephraim (1730–1786). Eberty heiratete die Gutsbesitzerstochter Marie Amalie Catharina, geb. Hasse, in Barottwitz bei Breslau, und war der Vater von vier Töchtern. Er wuchs in Berlin auf und besuchte die Cauersche Anstalt. Zusätzlich erhielt er Privatunterricht beim Mathematiker Jakob Steiner. Von 1831 bis 1834 studierte er in Berlin und Bonn Rechtswissenschaft, sein Referendariat absolvierte er in Berlin und wurde 1840 Kammergerichtsassessor und später Richter in Hirschberg, Lübben und Breslau, wo er sich 1849 habilitierte und 1854 Professor wurde. Er war in Berlin seit seinem Studium Mitglied des literarischen Vereins Tunnel über der Spree – dem auch Theodor Fontane (1819–1898) angehörte und dem er Zeit seines Lebens verbunden blieb. Eberty starb im Sommer 1884 in Arnsdorf im Riesengebirge. Die Jugenderinnerungen sind heute sein bekanntestes Werk geblieben.

Von den Jugenderinnerungen eines alten Berliners Ebertys liegen bis heute drei Editionen vor. Die Erstausgabe von 1878 erschien im Verlag von Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung) in Berlin. Das Buch wird von Theodor Fontane in zwei Teilen der Sonntagsausgaben Nr. 46 und Nr. 47 der Vossischen Zeitung vom 17. und vom 24. November des Jahres rezensiert. Die Wahrnehmung fällt damit in den Beginn des späten Ruhms Fontanes, der viele Jahre nach Journalist, Lyriker und Reise-Schriftsteller reüssierte und 1878 mit der Veröffentlichung seines großen Romanspätwerks beginnt. (Felix Eberty: Jugenderinnerungen eines alten Berliners. Nachwort von Theodor Fontane, Berlin: Wilhelm Hertz (Bessersche Buchhandlung) 1878.) Diese Ausgabe bildet die maßgebliche Urschrift.

Die zweite Ausgabe des Buchs erscheint 1925: Eingeleitet von Georg Hermann, handelt es sich um eine nach handschriftlichen Aufzeichnungen des Verfassers ergänzte und im Berliner Verlag für Kulturpolitik neu herausgegebene Fassung von J. von Bülow. Die Edition der Neuausgabe ist mit zwölf Kupferstichen nach zeitgenössischen Originalen und Faksimiles nach Handschriften und Handzeichnungen des Verfassers versehen. Die besagte zweiteilige Rezension Fontanes aus der Vossischen Zeitung vom 17./24. November 1878 (siehe oben) wird hier erstmals beigefügt und nachgedruckt. (Felix Eberty: Jugenderinnerungen eines alten Berliners. Mit einem Geleit von Georg Hermann, Nachwort und Nachdruck der Rezension von Theodor Fontane, ergänzte und mit 12 Abbildungen neu herausgeben von J. von Bülow, Berlin: Verlag für Kulturpolitik 1925.)

Die jüngste Ausgabe des Buches stammt von 2015: Neu herausgegeben ist sie von Werner Graf im Comino Verlag Berlin ... und: dieser Fassung liegt die Ausgabe von 1925 zugrunde und wird um weitere vorgenommene Kürzungen ergänzt. Somit ergibt sich nun ein Gesamtbild beider doch etwas unterschiedlicher Ausgaben – in dieser gegenwärtigen Fassung leider ohne die Grafiken. (Felix Eberty: Jugenderinnerungen eines alten Berliners. Nachwort von Theodor Fontane, Neuausgabe der erweiterten Ausgabe von 1925, ergänzt um die fehlenden Kapitel der Ausgabe von 1878 und mit Anmerkungen versehen, Berlin: Comino 2015, Br., 388 Seiten, ISBN 978-394583-105-2, 14,90 Euro.)

Zum Inhalt: Mit 66 Jahren blickt Felix Eberty 1878 auf seine Jugendjahre in Berlin zurück und bewahrt damit eine schon damals untergegangene Welt vor dem Vergessen. Eberty, dessen Vater aus der in Berlin berühmten jüdischen Familie Ephraim stammte, wuchs in einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie auf und wurde im Alter von 14 Jahren getauft. Er besuchte die legendäre Cauersche Erziehungsanstalt, ein privates Internat für das aufgeklärte Bürgertum, das nach reformpädagogischen Prinzipien geleitet wurde. Von 1831 bis 1834 studierte er in Bonn die Kunst der Rechtswissenschaften und trat anschließend in den preußischen Justizdienst ein, den er aber nach wenigen Jahren zugunsten einer erfolgreichen Tätigkeit als Schriftsteller aufgab. 

Theodor Fontane rezensierte die Jugenderinnerungen eines alten Berliners in der Vossischen Zeitung. Er schrieb, schon jetzt habe Ebertys Buch ‚kulturhistorische Bedeutung‘ und prophezeite: ‚(...) nach abermals fünfzig Jahren ganz gewiss.‘ 150 Jahre später gilt dies umso mehr. Denn das Buch gibt ‚dem Kulturhistoriker der Zukunft ein wundervolles, weil das Klein- und Detail-Leben schilderndes Material an die Hand.‘ Es ist laut ihm auch ein ‚wahres ‚Schatzkästlein‘ von Anekdoten, alle sehr gut erzählt, deshalb sehr gut, weil sie im Ton richtig getroffen sind.‘ Ebertys Beobachtungen haben mit der Zeit an Witz und Aktualität gewonnen (und tun dies bis jetzt): ‚Überhaupt waren die Berliner und sind auch noch heut leicht aufzuregen und ebenso leicht wieder zu beruhigen.

Der Charakter derselben hat sich nicht viel geändert, wohl aber der Charakter der Einwohnerschaft Berlins, die jetzt kaum noch zur Hälfte aus eigentlichen und wirklichen Berlinern bestehen mag. Der Zufluss von Menschen aus allen Provinzen des Landes ist denn auch nicht ohne Einfluss auf die Hauptstädter geblieben, welche ja schon von alters her viele fremde Elemente in sich aufgenommen hatten.‘ Und wenn er von seiner Ausbildungszeit am Berliner Stadtgericht erzählt, klingt manche Geschichte wie von heute: ‚Der Herausgeber einer kleinen Zeitschrift hatte an alle Welt Probenummern geschickt, welche den Vermerk enthielten, dass der Empfänger sich durch Annahme derselben zum Abonnement auf ein ganzes Jahr verpflichte. Natürlich wollte nachher niemand durch diese Erklärung gebunden sein, (...) die Zahlung wurde überall verweigert. Darauf verklagte der Herausgeber sämtliche vermeintliche Abonnenten, (...) elfhundert an der Zahl.‘“

Felix Eberty: Jugenderinnerungen
eines alten Berliners. Nachwort
von Theodor Fontane, Neuausgabe
der erweiterten Ausgabe von 1925,
herausgegeben von Werner Graf,
Berlin: im Comino Verlag 2015,  
Broschur, 388 Seiten, ISBN 978-
394583-105-2, Neupreis: 14,90 Euro.

(Robert Grieger)