Der Bonner Dichter Michael Hillen ist ein im besten Sinne Muster der Beständigkeit, der stillen Lotenstiefe dessen, was zu erinnern und zu verhandeln ist, wie des unabdingbaren Hinblickens in dieser wirren und sich mehr denn je überkullernden Zeit. Im letzten Jahr erschien beim Würzburger Verlag Königshausen & Neumann sein jüngster Gedichtband, der in der Zählung der elfte ist und in einem Dreischritt, den die Kapitel des Buches gehen, der Frage nachstreift, (w)o das Gestern geblieben ist, wie man es aus der Ferne betrachtet, dann in größerer Näherung und was schließlich im Heute noch (so der Titel des Schluss-Zyklus) davon zu erkennen, zu entdecken bleibt. Es ist ein seismisches Zoomen und Loopen in diesen leisen Texten, das überaus berührt und die Voids und Filamente zwischen den Mikrokosmen und Makrokosmen füllt und befährt. Die große und hohe Einfachheit, mit der diese Gedichte treffen, kann frappierend sein. Die Ruhe im Sprechen, mit der Michael Hillen sein Sichtungs- und, ja, Erinnerungswerk in Wo das Gestern geblieben ist fortsetzt, erzählt zugleich von der Kraft, ist zu konstatieren, mit der dieses Sprechen gebündelt und in seiner äußeren Unaufgeregtheit kühl hält, ist zuweilen erstaunlich, wird doch vom Scheitern, auch von Verletzungen berichtet, gibt es ein Bedauern über die aussterbenden Wörter, zeigt sich Hillen de facto als Landschafter der bewahrten und vergessenen Dinge, hält fest, worin sich das eigene und wie die in dieses hineinragenden Leben der andern ein- und auszeichnen ... was noch auf dem Totenbett nach vorn schauen lässt, auch im Angesicht der Bruchkante, die das Leben wie letztlich die Welt im, wie gesagt, Großen wie im Kleinen begrenzt. „Poesie, die mit feinem Instrumentarium sich aufmacht, Vergangenem nachzuspüren und dabei auf unvermutet Gegenwärtiges trifft – seiner Melancholie, bisweilen seinem Schrecken ...“ So beschreibt es der Klappentext des hundert Seiten fassenden Gedichtbuchs, das den Wundbildern (Bordenau/Venezia 2016) und der sympatrisch zu nennenden Vorgänger-Sammlung Antonia und andere Frauengeschichten (Ludwigsburg 2018) nachfolgt – und genau so ist es. Wie die Wundrosen gibt es auch den Zwischenband Stockrosen (2020) als bibliophile Ausgabe, letzteren sogar als hochfeines Kassettenwerk im Deutschen Buch- und Schriftmuseum in Leipzig. (Michael Hillen: Wo das Gestern geblieben ist, Gedichte. KlBr., Würzburg: Königshausen & Neumann 2021, 100 Seiten, ISBN 978-3-82607-426-4, 14,80 Euro.)
(André Schinkel)