Von den Großmeistern der Konkreten Poesie ist er der letzte und Langüberlebende: Am heutigen Montag wird der bolivianisch-schweizerische Dichter und Literatur- und Kunsttheoretiker Eugen Gomringer sage und schreibe einhundert Jahre. Der neben den Generationsgenossen Ernst Jandl (1925–2000) und Franz Mon (1926–2022) bedeutendste und wohl unbestechlichste Vertreter der nicht von allen Literaturenthusiasten geliebten Zunft hat viele Jahrzehnte an seinen von ihm selbst als Konstellationen bezeichneten Texten gearbeitet, und auch wenn ihn mit seiner bolivianischen Geburt gar nicht allzuviel, da er im Kleinkindalter bereits in die Schweiz kam, verbindet, gilt er dort bis heute als großer und überaus verehrter Vertreter des konkreten Dichtens, das sich zuweilen nur aus einer kargen Idee speist, aber eben auch (als Paradebeispiel gelte sein Gedicht silencio, bei dem die Stille in der freigelassenen Mitte des Textblocks entsteht) überraschend und faszinierend sein kann. So gesehen, dürfte Gomringer unter den „Konkreten“ sicherlich der zeitloseste, ja, und mithin auch originellste sein. Zuletzt erschien 2018 eine Sammelausgabe seiner – konkreten – Sonette. Und da seine Texte immer auch eine grafische Komponente (vgl. Textbeispiel) haben, dürften sie zugleich auch ein Sammelgebiet bilden. Zuletzt gab es Wirbel um seinen Text avenidas, ein Umstand, der wohl für alle beteiligten Parteien nicht glücklich ausging: Wenn die Künstler nicht mehr die belebte Wesenheit bewundern dürfen, ist ihr Gebaren an sich obsolet. Es bleibt zu hoffen, dass heute Eugen Gomringer im Kreis seiner Kinder, darunter die gleichsam als Autorin, Interpretin und Slammerin berühmt gewordene Nora Gomringer, einen grandiosen Tag erlebt – herzlichen Glückwunsch!
(André Schinkel)