Mit diesem Titel von Michael Hameter ist einer der vielen Artikel überschrieben, mit denen der Pirckheimer Harald Kretzschmar zu seinem heutigen 90. Geburtstag gewürdigt wird. Ein anderer Artikel in neues deutschland zum langjährigen Zeichners dieser Zeitung bis zur »Verjüngung« im letzten Jahr, diesmal von Hans-Dieter Schütt, titelt: "Er trifft, aber erledigt nicht". Schütt begründet das: "Dieser Künstler schaut nicht herab, sondern hin, nicht von oben, sondern eher von der Seite, die ihm niemals bloß Bilderbuch- oder Kehrseite ist. Heimlich schauen, ohne zu stören? Respekt nennt man das. Sezieren, ohne ins Fleisch zu schneiden. [...] Kretzschmars Witz trifft, aber erledigt nicht."
"Harald Kretzschmar, der sich seit 1955 zu den freien Mitarbeitern der Satirezeitschrift Eulenspiegel rechnen durfte und bis 1991 zum festen Stamm der Zeichner dort gehörte, bleibt beim Wikipedia-Eintrag vom Eulenspiegel unerwähnt." konstatiert Michael Hameter in Der Freitag (20. Mai 2021) resignierend, gleichzeitig mit der Feststellung, mit seinem Artikel Harald Kretzschmar als einen "der prominentesten, profiliertesten, potentesten Porträtkarikaturisten Deutschlands" zu würdigen. Er schreibt: "Die DDR war nur ein Teil seines Lebens, gut, sie war der Mittelteil. Es bleiben 30 Jahre bis heute mit Stapeln von Karikaturen und literarischen Porträts in einer Handvoll Bücher."
Für Ingeborg Ruthe (Berliner Zeitung, 19. Mai) ist für den "Mienen- und Posen-Leser", den Eulenspiegel-Karikaturisten, Graphiker und Feuilletonisten Harald Kretzschmar auch erwähnenswert, dass er als einstiger Leiter der Sektion Karikatur im VBK der DDR Mitbegründer des Satiricum Greiz war, "zu DDR-Zeiten eine mutige Instanz der stillen kulturellen Auflehnung" - Kretzschmar selbst sieht diese Auflehnung vielleicht etwas differenzierter: In Der Freitag wird die Würdigung seiner Person mit dem Aufmacher angekündigt: "Harald Kretzschmar kennt sich mit Zensur aus" (S. 17) um ihn dann zu zitieren: er nennt Zensur eine "Irrtumsvokabel" (S. 19).
Harald Kretzschmar stellt klar: "Karikieren heißt Charakterisieren! Viele denken: Karikieren habe etwas mit Verzerren zu tun. Je größer die Nase, je besser das Porträt." Er sieht sich im Spiegel eines Kollegen, wenn er über den berühmten E. O. Plauen schreibt: „Erstens geht es um das skizzenhafte Aufspüren von Wesentlichem mittels Strich und Linie und zweitens um das abstrahierende Auf-den-Punkt-Bringen."
Hameter schreibt weiter: Harald Kretzschmar "hat über die, die seinen Weg gekreuzt haben, Bücher gemacht. Jetzt kam ihm zugute, dass er seit den 70er Jahren seine Karikaturen selbst mit Unterschriften versehen hatte: kleine Porträts. Anfangs zehn Zeilen. langsam entwickelten sich daraus literarische Porträts. In Buchform lauten ihre Titel: »Wem die Nase passt« (2001), »Paradies der Begegnungen« (2010), »Mimen und Mienen« (2011), »Treff der Originale« (2016) und zuletzt [der allen Pirckheimern als Jahresgabe bekannte Titel] »Stets erlebe ich das Falsche« (2017). Der Pirckheimer Andreas Wessel bemerkt dazu in der gestrigen Wochenendausgabe der Zeitung junge Welt: "Harald Kretzschmar [hat uns] mit seinem »alternativen Künstlerreport« [...], in dessen Biographien sich immer auch sein eigenes Künstlerleben spiegelt, vielleicht ein paar Körnchen der Wahrheit geschenkt, welche öffentlich besoldete Geschichtsdeuter so mühsam zu verdecken bemüht sind. Wer nachzudenken (oder auch einfach nur zu denken) bereit ist, findet hier eine heiter-ernste und unbedingt ehrliche Selbstbefragung über die Möglichkeiten und Grenzen von Kunst und Künstlern im Wandel der Gesellschaft." Hameter ergänzt: "Zum genauen Strich setzt er das präzise Wort. Er hat mit seinen »nachgerufenen Hinterherbemerkungen« etwas Großartiges geschaffen: ein Archiv der Originale. Für Originale besitzt er einen Nerv. Ist er doch selbst eines."
Schließen wir uns den Wünschen von Hans-Dieter Schütt an unser Mitglied an: "Harald, herzlichen Glückwunsch! Kraft! Für weitere Übertreibungen - in Richtung der Wahrheit."
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