Pirckheimer-Blog

Franckesche Stiftungen

Fr, 05.01.2024

Schloss Lichtenburg hat eine vielgestaltige Historie: ehemaliges Kloster, Witwensitz, Gefängnis – und in der NS-Zeit war es ein berüchtigtes KZ. Heute ist es Museum und eine Gedenkstätte. | © Norbert Kaiser
Die Herausgabe und Gestaltung des Buches "Starke Frauen in der Lichtenburg" oblag Petra Reichenbach, deren Arbeit in der jüngsten "Marginalien"-Ausgabe (Heft 251, in Text und Grafikbeilage) gewürdigt wird.

Starke Frauen in der Lichtenburg

Die Franckeschen Stiftungen laden zur Eröffnung einer neuen Lese- und Vortragsreihe in die hallesche Waisenbuchhandlung am Franckeplatz ein. Der Auftakt der vier Veranstaltungen der Stiftungen, die Mitglied der Pirckheimer-Gesellschaft sind, findet am 15. Januar um 19 Uhr in der von Nils Wagner geleiteten Buchhandlung statt. In der Ankündigung heißt es: „Die historischen Sammlungen der Franckeschen Stiftungen in Archiv, Kunst- und Naturalienkammer und Bibliothek bergen wertvolle Dokumente mit vielen, nicht selten überraschenden Geschichten, die letztlich große historische Zusammenhänge illustrieren. In der Reihe Neu entdeckt. Neu erworben. Neu erschienen wird zu vier ganz unterschiedlichen Themenabenden mit namhaften Wissenschaftler- und Autor:innen der Bogen gespannt von frommen Kurfürstinnen (...), der Unterzeichnung der Bill of Rights in Nordamerika bis zur Erstentdeckung von Tieren (…). Wissenschafter:innen und Autor:innen laden Sie zu Lesungen, Gesprächen und Führungen in die Buchhandlung und die Kunst- und Naturalienkammer und die Ausstellung im Waisenhaus ein.“ Zuerst geht es nach Prettin. Dort liegt Schloss Lichtenburg, das seinerzeit als eines der schönsten Schlösser Sachsens galt und auf eine überaus bewegte Geschichte blickt, die auch mit dem Begründer der Stiftungen, August Hermann Francke (1663–1727), in Berührung steht. Auf den Resten eines Klosters errichtet, war die Anlage um 1770 Witwensitz der sächsischen Kurfürstinnen. Hier residierten zeitweise die aus dem dänischen Herrscherhaus stammenden Kurfürstinnen Anna Sophia von Sachsen (1647–1717) und ihre Schwester Wilhelmine Ernestine von der Pfalz (1650–1706). Anna Sophia förderte von Beginn an den Aufbau des Waisenhauses in Halle und stand mit dem Gründer in engem Kontakt. Den ersten Teil des Abends wird dahingehend mit einem Impulsvortrag Hofkulturspezialistin Silke Herz bestreiten. Der zweite Teil des Abends widmet sich der anderen Seite der Lichtenburg: Erst Schloss, dann Konzentrationslager – die wechselhafte Nutzung der weitläufigen Anlage in Prettin könnte gegensätzlicher nicht sein. In dem Gespräch zwischen Melanie Engler, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Lichtenburg, und Petra Reichenbach, Künstlerin und Herausgeberin des Buchs Starke Frauen in der Lichtenburg (mdv 2023), moderiert von Nils Wagner, wird die Geschichte und Spannung des Ortes zur Sprache kommen. Die Arbeit Petra Reichenbachs, Mitstreiterin des book art centers Halle, wurde im Übrigen in der aktuellen Ausgabe der Marginalien gewürdigt, und die Hallenserin steuerte eine der originalen Grafikbeilagen zum Heft bei ... Alle weiteren Infos hier.

(André Schinkel/Franckesche Stiftungen/Pressemitteilung)

Sa, 21.09.2013

Gewissheit, Vision: Francke von heute aus gesehen

Internationale Kunstausstellung
bei unserem Mitglied Franckesche Stiftungen zu Halle

August Hermann Francke schuf ein Reformwerk, das mit seiner internationalen Ausstrahlung, Vernetzung und seiner Wirkung einmalig ist. Wie kann man heute damit umgehen und wo liegt die Bedeutung des Werkes in unserer Gegenwart? Nach dem Zusammenbruch der sozialistischen Systeme und in einer globalen Strukturkrise des kapitalistischen Wirtschaftssystems stellen sich grundsätzliche Fragen, was heute Begriffe wie Gewissheit und Vision für eine Weiterentwicklung der Zivilisation bedeuten oder überhaupt sein können. In Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche und Fragestellungen, die ganze Nationen und Kulturen betreffen, und die Millionen Menschen in Unsicherheit über ihre Zukunft setzen, nimmt das Ausstellungsprojekt den historische Anlass als Ausgangspunkt für ein künstlerisches Experiment. Gewissheit und Vision sind dabei Basisbegriffe für eine Recherche in der Geschichte und eine Herausforderung, deren Bedeutung heute zu reflektieren.
Serkan Özkaya: Proletarier aller Länder …
2001 – 2013, Foto: Serkan Ozkaya.
Historisch und gesellschaftskritisch arbeitende Künstler wie Sergey Bratkow, Marc Bijl, William Basinski, Esther Ernst, Christian Jankowski, Via Lewandowski, Christian Niccoli, Serkan Özkaya und el Seed sind von den Kuratoren Moritz Götze und Peter Lang eingeladen worden, sich mit den Begriffen "Gewissheit" und "Vision" auseinanderzusetzen. Medial präsentierte Interviews mit Philosophen, Kunsttheoretikern, Sozialpsychologen, Medien- und Religionswissenschaftlern sowie Journalisten ergänzen die künstlerischen Positionen um grundsätzliche Aspekte.

Ausstelung: 22. September bis 23. März 2014

Franckesche Stiftungen
Historisches Waisenhaus

So, 26.09.2010

Xylothek

Marion Gülzow

„Bibliotheken sind die Musentempel…, in denen der unsterbliche  Nachlass der edelsten Seelen… beysammen ruht, die angenehmsten Lustgärten, in welchen auf jeden Schritt neue Blumen emporsprossen, und Vergnügen um sich duften…“ (Michael Denis, 1777)
A
ngeregt durch die Xylothek Schildbachs und fünfzig leere Zigarrenkisten aus einer Umzugshinterlassenschaft schuf die Hannoveraner Künstlerin Marion Gülzow eine bisher ca 300-bändige Künstlerbibliothek in Zigarrenkistenformaten, die als Installation ausgestellt wird.

Carl Schildbach (1730-1817) fertigte zwischen 1771 und 1799 mit seiner Sammlung von Hölzern und Pflanzenteilen den Prototyp einer so genannten Xylothek (altgriechisch für einen Aufbewahrungsort für Holz). Seine Holzbibliothek umfasst 530 einzelne „Bücher“, die heute im Naturkundemuseum des Ottoneums in Kassel aufbewahrt werden. Schildbach ordnete sämtliche Holzgewächse Hessens enzyklopädisch und bereitete sie für eine anschauliche Betrachtung auf.
Die einzelnen Exemplare dieser Scheinbibliothekoder Xylothek "benehmen" sich wie richtige Bücher: Sie haben einen Rücken und einen Deckel, worauf sie manchmal sogar einen Titel tragen. Und klappt man sie auf, entdeckt man innen eine Geschichte. Die bearbeiteten Zigarrenkisten bewahren und präsentieren gleichermaßen: Schätze und Früchte künstlerischer Auseinandersetzung mit Alltagsmaterialien aller Art. Bürolandschaften und „Querschiffe“ - am Horizont neuer Aufenthaltsmöglichkeiten - ankern jenseits von Steuermarken und Todeswarnungen. Mit ca. 300 bis 500 Exemplaren wird die Bibliothek komplett sein.
Marion Gülzow sieht ihre Künstlerbibliothek allerdings nicht der Bibliothek eines leidenschaftlichen Buchbinders verpflichtet, wie sie von Wolfgang Hildesheimer in seinem Roman „Masante“ beschrieben wird: „Sie war voller Schätze, Bücher aus herrlichen handgeschöpften Papieren, Pergamente wie geschaffen für Apokryphes oder Palimpseste, zartfarbene Vorsatzpapiere in alten Mustern, Bücher seltsamer Formen, oval und sechseckig, Arbeiten eines Lebens, und die Seiten alle leer. In seiner gesamten Bibliothek stand nicht ein einziges Wort.“
Vielmehr knüpft sie mit ihrer Arbeit an die Kuriositätenkabinette des Barock an. Denn diese intendieren eine enzyklopädische Darstellung der Welt, die uns heute wunderbar und unverständlich zugleich erscheint. Marion Gülzows Künstlerbibliothek lädt den Betrachter ein, sich in ihr anschauliches Bücheruniversum zu vertiefen.

Ausstellung im Historischen Waisenhaus
1. Oktober 2010 bis 16. Januar 2011

Kunst- und Naturalienkamer
è Franckeschen Stiftungen zu Halle

siehe auch è Das Projekt Xylothek
siehe auch è Von den Holzbibliotheken

Di, 11.05.2010

Xylothek

Die Künstlerbibliothek in Zigarrenkistenformaten
Carl Schildbach schaffte ab 1780 mit seiner Holzbibliothek den Prototyp einer sogenannten Xylothek.
(Xylon, gr. = Holz/Theke, gr. = Aufbewahrungsort.)530 „Scheinbände“ kann man bis heute im Naturkundemuseum in Kassel besichtigen. „Nach selbstgewähltem Plan“ ordnete Schildbach sämtliche Holzgewächse der Gegend enzyclopädisch und bereitete sie auf „für eine anschauliche Betrachtung“.

Aus der Museumsbroschüre 2001: „Dabei wird aus jeder einzelnen Baum- oder Strauchart eine Art Scheinbuch gebildet, dessen Äußeres aus Holz und Rinde besteht, während im Innern die jeweiligen Blätter, Blüten und Früchte dreidimensional vorgestellt sind. Eingeklebte Legenden enthalten das damalige forstbotanische Wissen zur jeweiligen Art.“

(Marion Gültzow)

Mit diesem Bild/Wissen vor Augen kehrten fünfzig leere Zigarrenkisten aus einer Umzugshinterlassenschaft einer stillen Betrachterin auf einmal ihren Rücken zu und entfalteten mit dieser neuen Aufstellung sogleich ihre Bibliothekstauglichkeit. Das Hölzerne war naturgemäß äußere Erscheinung. Bunte Banderolen und Steuermarken bebilderten die Wirklichkeit des längst verrauchten Inhalts, und die Todeswarnungen waren ein beharrlicher Hinweis auf die Möglichkeit gelebten Lebens.

Kinder und Freizeit-Insektenforscher benutzen sie gerne, die Zigarrenkisten als Aufbewahrungsort für ihre Schätze: Flüchtiges der Tagesjagden, Erlebtes und Geträumtes mit dem Schmetterlingsnetz der Seele gefangen. Die Einen jagen aus Lust an der Bewegung und der Selbstentdeckung, die Anderen aus Lust am Festhalten und Systematisieren. Beide der Verlockung gehorchend, durch Besitz ein Stückchen Weltbeherrschung zu erlangen.

Die bearbeiteten Zigarrenkisten der Xylothek bewahren und bringen an das Licht der Tage gleichermaßen: Schätze/Früchte künstlerischer Auseinandersetzung mit Alltagsmaterialien aller Art. Bürolandschaften und Querschiffe am Horizont neuer Aufenthaltsmöglichkeiten, ankern jenseits von Steuermarken und Todeswarnungen. Allerdings nicht der Bibliothek eines leidenschaftlichen Buchbinders verpflichtet, wie von Wolfgang Hildesheimer sie in seinem Roman „Masante“ beschrieben: „Sie war voller Schätze, Bücher aus herrlichen handgeschöpften Papieren, Pergamente wie geschaffen für Apokryphes oder Palimpseste, zartfarbene Vorsatzpapiere in alten Mustern, Bücher seltsamer Formen, oval und sechseckig, Arbeiten eines Lebens, und die Seiten alle leer. In seiner gesamten Bibliothek stand nicht ein einziges Wort.“
Ausstellung als Bibliotheksinstallation 2010
im Foyer der Wunderkammer in den
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Franckeschen Stiftungen zu Halle
Eröffnung: Donnerstag, 30. September 2010, 19.00 Uhr
Ausstellung 1. Oktober 2010 bis 23. Januar 2011
Öffnungszeiten: Di - So 10 - 17

siehe auch è Das Projekt Xylothek
siehe auch è
Von den Holzbibliotheken