Das Historische Archiv und die Bibliothek des Deutschen Technikmuseums in Berlin verwahren in ihren Magazinen verschiedene Archivbestände mit Bezug zur H. Berthold AG. Dies sind neben Unterlagen aus dem Firmenarchiv zu Entwurf und Fertigung verschiedener Schriftschnitte für Blei- und Fotosatz neben vielem anderem die Nachlässe von Günther Gerhard Lange (1921–2008) und Bernd Möllenstädt (1943–2013). Ebenfalls vorhanden sind eine umfangreiche Dia-Sammlung sowie zahlreiche Schriftmusterbücher der Firma Berthold und anderer assoziierter Firmen.
Bei einer Übernahme von Archivalien und Objekten im Jahr 1995 gelangten zahlreiche Schränke mit Diatype-Mutterscheiben („Muttern“) sowie Handzeichnungen mit Schriftzeichen für den Fotosatz in den Besitz des Museums. Die Nachinventarisierung der roten Kassetten mit den Musterzeichnungen für Diatype-Schriften erfolgte 2023 museumsintern. Im Anschluss konnte nun im Februar 2024 der Bestand mit den blauen Kassetten, welche Entwurfsfolien für das Staromat-Fotosatzgerät enthalten, im Rahmen eines Praxisprojektes mit vier Museologie-Studierenden der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) verzeichnet werden. Arbeitsfotos von beiden Kassettenarten in ihren Schränken sowie die Listen aller Schriften stehen online bereit.
Erste fotomechanische Satztechniken waren bereits in den 1930ern in Japan, der Schweiz und den USA im Einsatz. In den Jahrzehnten nach 1945 erfolgte schließlich nach und nach die Ablösung fast aller kommerziell betriebenen Bleisatztechniken. Vom Ende der 1950er bis in die frühen 1990er Jahre vertrieb die nun Westberliner Firma H. Berthold AG mindestens 14 verschiedene Fotosatz-Geräte. Für diese technischen Innovationen war es seitens der Firma erforderlich, Tausende von Satzschriften für diese Technik vorzubereiten und anzupassen. Für die bekanntesten dieser frühen Fotosatz-Geräte – Diatype und Staromat – wurden unterschiedliche Zeichnungen auf Fotopapier oder Film angefertigt, die als „Original-Handzeichnungen“ bezeichnet wurden. Sie dienten als Vorlagen für spätere Geräte ihrer Satzschriften – bis hin zur digitalen Speicherung von Computer-Fonts. Die Buchstaben-Vorlagen für die Staromat-Schriftstreifen archivierte die H. Berthold AG – auf Film gezeichnet – in blauen Kassetten. Nachdem die H. Berthold AG die Film-Klischee GmbH in Bayern übernommen hatte, vertrieb diese Firma seit der Mitte der 1960er Jahre das Staromat.
Es ist schwer, vorherzusehen, welche Interessen zukünftige Generationen von Forschenden, Lehrenden, Kuratorinnen und Kuratoren, Studierenden und Kreativen in Bezug auf vorhandene Sammlungen in Museen haben werden. Eine der wichtigsten Aufgaben von Museen liegt daher darin, Zugänge für alle diese Nutzer zu ermöglichen. Im Rahmen des Praxisprojektes mit der HTW Berlin konnte nun der gesamte Restbestand zum Fotosatz, der neben den sechs Schränken mit blauen Kassetten auch diverse Schränke mit Schriftstreifen-Negativen und Mutterscheiben umfasste, im Depot des Museums grunderfasst werden. In der zweiten Woche lernten die Studierenden das Historische Archiv und die Bibliothek des Technikmuseums kennen. Sie hatten die Aufgabe, zu ausgewählten Schriften zu recherchieren und verschiedene Quellen in den Beständen zu ermitteln. Hierfür wurden die bereits verzeichneten Archivalien und Bestände der Bibliothek mittels Datenbanken durchsucht. Die nur durch eine Liste grob aufgenommenen Auftragstaschen der Abteilung Schriftträgerfertigung standen ebenfalls zur Verfügung und boten den vier Untersuchenden interessante Einblicke in die Arbeitsweise der H. Berthold AG.
Insgesamt standen zehn Schriften im Fokus. Acht davon beinhalteten neugezeichnete Buchstaben von Bleisatzlettern, die sowohl ursprünglich von der Firma Berthold als auch von einigen anderen Schriftgießereien gefertigt waren – darunter Schriften der ersten Schriftgestalterinnen der BRD, Ilse Schüle und Gudrun Zapf von Hesse. Zwei Kassetten beinhalten die Reinzeichnungen von neuen Schriften, die Berthold erstmals für den Fotosatz angefertigt hatte. Die Entwürfe dafür stammen von Gestaltern aus Neuseeland sowie der Tschechoslowakei. Im weiteren Verlauf der Woche wurden die Folien aus zwei Schriftkassetten digitalisiert – die der Herkules und die der Fanfare schmal.
Vor einiger Zeit wurden Interviews mit drei ehemaligen Mitarbeitern der H. Berthold AG in Berlin sowie ein längeres Interview mit Alexander Nagel über Berthold Fototype vom Deutschen Technikmuseum gefilmt und im Netz veröffentlicht. Im Rahmen eines von der Senatsverwaltung Berlin und digiS geförderten Digitalisierungsprojektes wird 2024 eine Auswahl von knapp 80 Akten aus der Abteilung Schriftschneiderei der H. Berthold AG mit Korrespondenz, Entwürfen und internem Schriftgut digitalisiert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Sie werden sicher einen Beitrag leisten können für Forschungen zu Typografie sowie Design- und Industriegeschichte.
(Dan Reynolds)