Pirckheimer-Blog

Ulrich Goerdten

So, 07.09.2014

Ein unbekannter Brief Felix Mendelssohn Bartholdys

Im Jahre 2013 erschien der achte und vorerst letzte Band der „Sämtlichen Briefe“ Felix Mendelssohn Bartholdys (1809-1847), der die Briefe von 1841 bis Ende August 1842 enthält. Im Band 6 sind Briefe von 1836 bis 1838 abgedruckt. Diesen Band habe ich mir im Rara-Lesessal der Staatsbibliothek Unter den Linden angesehen, um zu prüfen, ob ein Brief, den Mendelssohn am 3. Dezember 1838 an den Schriftsteller Theodor Winkler gerichtet hat, dort enthalten ist. Diesen Brief hatte ich nebenher bei bibliographischen Recherchen in der „Täglichen Rundschau“ von 1882 gefunden. Mein Sammlerherz schlug höher, als ich bemerken musste, dass der Brief unwahrgenommen im Orkus des Vergessens verschwunden war. Dort soll er nicht bleiben. Er, oder vielmehr der ganze Rundschau-Artikel, in dem er enthalten ist, wird der Mit- und Nachwelt wiedergegeben, zunächst in dieser Form des Blog-Beitrages, aber nicht ohne die begründete Hoffnung, dass er dereinst in einen Schluss- oder Nachtragsband der Mendelssohn-Briefausgabe aufgenommen wird.
Wiederum lasse ich bei dieser Gelegenheit das Wehgeschrei über die schlimmen Zustände in der bibliographischen Welt erschallen und weise darauf hin, dass die Inhaltserschließung der Zeitungen des 19. Jahrhunderts eine dringendst zu erledigende Aufgabe ist, zu der sich Wissenschaftler, bibliographische Fachleute, öffentliche Hände aller Art und eigentlich die gesamte Kulturwelt zusammentun müssten. Der unbekannte Mendelssohn-Brief ist nur ein Beispiel unter Dutzenden, mit denen belegt werden kann, wie nachlässig mit den kulturellen Erbschaften umgegangen wird. Um 1900 schon haben Heinrich Hubert Houben, Max Herrmann und andere das Projekt der Zeitungserschließung angemahnt und Vorschläge zu seiner Realisierung gemacht. Houbens Musterbibliographie der Feuilletonbeiträge der Vossischen Zeitung ist auf diesem Gebiet bis heute eine einmalige bibliographische Pionierleistung geblieben. Um 1980 ist unter Befürwortung des unvergessenen Paul Raabe ein erneuter Versuch unternommen worden, Bewegung in die Sache zu bringen. Leider aber hat auch dieser Vorstoß zu nichts geführt.
Genug gewehklagt! Es folgt hier der Text des Zeitungsartikels aus der „Täglichen Rundschau“ von 1882, S. 1065.
(Ulrich Goerdten)

So, 31.08.2014

Neues vom kosmischen Phantasten

Schon einmal, im Bibliophilen-Blog vom 15. Februar 2014, wurde ein unbekannter Text des Zeichners und phantastischen Schriftstellers Paul Scheerbart vorgestellt, und schon wieder ist ein weiterer gesichtet worden, der am 30. April 1890 in der „Täglichen Rundschau“ erschienen ist und den Titel trägt „Das altorientalische Museum zu Berlin“. Der Text war, wie die alsbald durchgeführte Suche ergab, den Scheerbart-Bibliographen, den Herausgebern der „Gesammelten Werke“ und den Scheerbart-Forschern noch nicht bekannt. Dabei ist die Verwendung altorientalischer Motive bei Scheerbart schon mehrfach untersucht worden, so von Mechthild Rausch, der Herausgeberin vieler Scheerbart-Texte. Die wichtigste Arbeit zu diesem Thema stammt von dem FU-Germanisten Peter Sprengel. Sie ist im „Jahrbuch preußischer Kulturbesitz“ von 1992 erschienen und befasst sich unter dem Titel „Museums-Poesie“ mit „Archäologie und Ästhetik in Scheerbarts assyrisch-babylonischen Novelletten“. Sprengel weist nach, dass Scheerbart ein „Verzeichnis der Bestände des altorientalischen Museums“ von 1889 benutzt hat, aus dem er Namen, historische Fakten und Einzelobjekte für seine Texte gewonnen hatte. Wie gut Scheerbart aber die Kunst des Alten Orients aus eigener Anschauung kannte, konnte bisher nur vermutet werden. Der neue Textfund bestätigt, dass Scheerbart die Sammlungen der Berliner Museen genau gekannt hat. Das belegt auch ein (bekannter) Paralleltext Scheerbarts aus derselben Zeit, in dem er die Bestände des ägyptischen Museums beschrieben hat. „Der Orient, der in Scheerbarts Werken vielmehr psychologischer Topos als realer Ort ist, blieb zeitlebens Spiegel und Projektionsfläche seines Gefühlslebens“ schreibt Mechthild Rausch.
Was ergibt sich aus dem neuen Textfund? Die Scheerbartforschungen sind um einen kleinen Zuwachs an Kenntnissen bereichert worden, eine Leerstelle wurde mit dem genau passenden Objekt gefüllt. Den Herausgebern der Gesammelten Werke Scheerbarts und den Bibliographen wird ein erneuter Wink gegeben, der sie auf die Lückenhaftigkeit ihrer Textkenntnisse hinweist. Und drittens wird der Zeitungs- und Feuilletonforschung deutlich gemacht, daß die Inhaltserschließung der Zeitungen des 19. Jahrhunderts (ein schon vor Jahrzehnten angestrebtes, nie aber realisiertes Projekt) eine Aufgabe ist, deren Erledigung immer dringender erscheint.
(Ulrich Goerdten)
Durch Klick auf den Ausriß kann der Artikel gelesen werden.

Mo, 07.07.2014

Ein Fundstück aus dem Barock.

Weihnachtspredigt zum Thema Buch und Bibliothek


Frakturschriftlesen gehört heute nicht mehr zu den selbstverständlichen Fertigkeiten der Menschen. Wer es entgegen den allgemeinen Trends doch noch kann und zum Vergnügen oder aus wissenschaftlichem Interesse in alten Büchern stöbert, wird abenteuerliche Entdeckungen machen. Man muss die oftmals dickleibigen alten Schwarten heute nicht mehr in den Lesesälen entlegener Bibliotheken studieren, es genügen ein Internetanschluss daheim und ein wenig Erfahrung im Umgang mit digitalen Sammlungen (z. B.),  dem Karlsruher Virtuellen Katalog und seiner Unterabteilung „Digitale Medien“. Sind diese Basisbedingungen erfüllt, öffnen sich ehemals wohlgehütete Schatzkammern fast wie von selbst. 
Beim Stöbern in diesen Schätzen konnte allerdings die Weihnachtspredigt, die ich einmal in der gedrucken Ausgabe eines alten Buches von 1695, der „Postilla“ von Johannes Riemer, in der Universitätsbibliothek der FU gesehen hatte (Signatur 38/76/86981), nicht wiedergefunden werden. Sie scheint in den digitalisierten Ausgaben von 1684 (Dresden) und 1700 (Göttingen) nicht enthalten zu sein. Diese Predigt ist deswegen für Bibliophile von besonderem Interesse, weil in ihr das Buch den metaphorischen Bezugsrahmen für die Verkündigung des Evangeliums liefern muss. Ihr Verfasser ist Johannes Riemer (1648-1714), bekannt als Autor umfangreicher Romane, Dramen und Abhandlungen zur Rhetorik. Er hat 1684 auch diese Sammlung von Predigten auf alle Sonn- und Feiertage des Jahres herausgegeben, deren Text allerdings nicht in den von Helmut Krause herausgegebenen Band 4 der Werkausgabe Riemers (Berlin, de Gruyter 1987) aufgenommen wurde. Hier stehen nur die Abschlussgedichte der Predigten.


Schon der pompöse Titel dieser Predigtsammlung ist bemerkenswert, weil er trotz allen Wortaufwandes doch eher dazu geeignet erscheint, von der Lektüre abzuschrecken:

 
„Blaße Furcht und Grünende Hoffnung. Bey Schlafflosen Nächten / Der bedrängten Christen Zwischen Himmel und Hölle. Allen Blöden Gewissen und frechen Sündern Der ungezäumeten Welt Aus dem Trost= und Gerichts=Buche Jesu Christi / vorgerücket von Johann Riemern / Professorn zu Weissenfels. Merseburg / In Verlegung Christian Forbergers / Buch=Händlers / J.J. 1684. Weissenfels / druckts Joh. Brühl / F. S. H. u. A. Buchdr.“


Dieses so dräuend sich ankündigende Buch sollte wohl nicht nur als Postille zur Erbauung dienen, es war vermutlich auch ein Lehrbuch, das Riemer für seinen Rhetorikunterricht benutzt hat. Es ist bis 1715 noch dreimal nachgedruckt worden und heute in etwa zehn deutschen Bibliotheken vorhanden. Die Ausgabe von 1684 kann im Internet gelesen werden, die Ausgabe von 1700 hier.


Im Vorwort schreibt Riemer:


So lange ich in der Oratoria mit jungen Leuten zu thun gehabt / ist diß allezeit mein Vorsatz gewesen / denen kurtzen wenigen Regulen / so ich ihnen zum Fundament der Kunst vorgeschrieben / solche Exempel in praxi zu unterziehen / daß ich iederzeit diese Stunde ein geistliches / folgenden Tag / ein Politisches Thema zur Ubung meinen Zuhörern / vorgegeben / und ihre Elaboration hernach von Stunden zu Stunden mit der Meinigen verbessert. Nachdem ich mich nun dazu meine schuldige Andacht aus denen Evanglischen Sonntags-Texte / nicht wenig anleiten lassen / auch meine Zuhörer nur fort für fort angelegen / ich möchte ihnen doch einen gewissen Indicem ordnen / und den Weg weisen / wie sie zu Oratorischem Behuff / einem Vorrath von guten und zierlichen Realien erlangen könnten/ als fiel mir bey / die gefälligen / so genandten Sonntags-Evangelia / als gewisse Classen der Oratorischen Realien zu vertheilen / und diese / so viel mir möglich gewesen / reichlich / als gleichsam in einem Lexico vorzustellen . . .


Was nun besagte Weihnachtspredigt betrifft, so lautet deren Überschrift: „Christus das Buch des Lebens : Die Welt eine ärgerliche Bibliotheck“. Zugrundegelgt ist der Anfang des Johannesevangeliums („Am Anfang war das Wort . . . „)


Der Text hebt an mit kritischen Hieben gegen den seinerzeitigen Buchhandel und die Buchkultur überhaupt:


„Welche Messe wird wol in der Welt gehalten / da nicht mehr Bücher ans Licht kommen / als in etzlichen Jahren können gelesen werden. Die Erbauung wird in öffentlichen Schrifften nicht mehr gesuchet. Gottes Ehre / welche sonst der Zweck aller Dinge ist / setzen die meisten Scribenten auß denen Augen. Lob und Vorzug der Person / die da schreibet / will wol der Schrifften erste Ursache seyn. […] Der will der Gröste seyn / welcher das meiste zu lesen herfür giebet. […] . . .heut zu Tage läst der Verfasser einer Schrifft / seinen Eigen=Ruhm die erste Sorge seyn.“


Riemer meint hingegen den ganzen Bücherkram entbehren zu können, da Gott uns in der Heiligen Schrift „eine grosse und weitläuffigte Bibliothec“ hinterlassen habe. Hinzu komme die weise Maßnahme des Allerhöchsten, dass er die „Drückerey=Kunst“ habe erfinden lassen, um sein Wort unters Volk zu bringen, denn „Nunmehr kann der arme Mann / die gantze Heil. Schrifft vor achtzehn Groschen kauffen“. Den Sammlern kostbarer Bücher wird vorgehalten, dass sie ihre Schätze nur zum Prunk dastehen haben, aber kaum darin lesen. Dagegen lobt er „ein besudelt Buch / welches vom öfftern Gebrauch in der Hand eines andächtigen Haußvaters / gantz beschmützet und weggegriffen ist.“ Dem Rechtschaffenen reichen Bibel, Katechismus, Gesangbuch und die Postille. Hat er diese Schätze daheim auf dem Bord stehen, ist er mit allem Nötigen reichlich versehen.


Aber auch die „Bibliothec“ der „Kinder GOttes“ enthält noch andere nützliche Sachen, die alle zum Ruhme des Allmächtigen dienen:


„Sie haben noch andere Haupt=Bücher. Die sind übertrefflich kostbar. Bücher müssen in ihren Schrancken feine Ordnung haben. Die Geistlichen haben ihren eigenen Platz. Die Weltlichen / und Gesetz=Bücher ihre gewisse Reye. Die Artzney= und Kräuter=Bücher stehen auch in ihrer Besonderung. Eben diese Ordnung behält JEsus das Buch des Lebens. Die gantze Schrifft ist seine Bibliothec.“ (S. 97)


Nun fährt der Prediger fort, die Vorzüge der Heiligen Schrift zu preisen und beklagt nur, dass das Buch nicht fleißig genug gelesen wird. Schon dass es nicht neu gekauft worden, sondern „durch Erbschafft mit unter den Hauß-Rath kommen“, scheint ein Makel zu sein. Schlimmer und tadelnwerter ergeht es dem kostbaren Buche hier:


„Aber da liegt dennoch das liebe Buch voll Staub und ohne Gebrauch. Zwar den Worten nach gebraucht sich desssen der Hauß=Herr sehr fleißig : indem er Tag und Nacht darüber lieget : aber nicht zu studiren / und darinnen zu lesen : sondern darauff zu schlaffen. So lange er nemlich das hochtheure Buch auff der Banck / als ein Hauptküssen unter dem Kopffe hat.“ (S. 100)

Mo, 26.05.2014

Bargfelder Frühling

Radierung von Jens Rusch zu
Arno Schmidts Erzählung Kühe in Halbtrauer
Zum drittenmal findet in Bargfeld bei Celle der Bargfelder Frühling mit Ausstellungen, Lesungen, Vorträgen sowie musikalischen und theatralischen Darbietungen statt, organisiert vom der "Kulturinitiative Bargfeld e.V", durch die Arno Schmidt Stiftung und den Antiquar und Pirckheimer Hermann Wiedenroth. Auch unser Vorsitzender Ulrich Goerdten ist mit einem Beitrag beteiligt. Der "Frühling" dauert vom 20. bis 22. Juni und überschneidet sich leider mit dem Ausflugstermin der berlin-brandenburgischen Pirckheimer. Das Dorf Bargfeld (ca. 150 Einwohner) ist ein Ortsteil der Gemeinde Eldingen in Niedersachsen. Es liegt nordöstlich von Hannover im Dreieck zwischen Celle, Wolfsburg und Uelzen. Erreichbar ist es am besten im eigenen Auto. Wer mit der Bahn anreisen muss, sollte mit der Regionalbahn (Strecke Hannover/Hamburg) bis Eschede fahren und dort versuchen, für die letzten 10 Kilometer ein Taxi zu bekommen. Bei rechtzeitiger Mitteilung der Ankunftszeit kann auch ein kostenloser Shuttledienst eingerichtet werden. Wer übernachten möchte, kann im Gasthof Bangemann unterkommen (Unter den Eichen 5, 29351 Eldingen-Bargfeld, Tel. 05148 - 291).
Programm als pdf.

20. bis 22. Juni 2014

Bargfeld bei Celle

Sa, 24.05.2014

Der erste Druck der „Pirckheimer in Bayern“

Im ersten Halbjahr 2013 beschlossen einige Bayerischen Mitglieder der Pirckheimer-Gesellschaft, sich aktiver im südlichen Deutschland innerhalb der Pirckheimer-Gesellschaft zusammenzufinden - Ende November bereits wurde in dieser Regionalgruppe, die sich den Namen Pirckheimer in Bayern gab, der Gedanke geboren, eine eigenständige Edition herauszugeben. Zum Start bot sich der Vortrag des Vorsitzenden der Pirckheimer-Gesellschaft, Ulrich Goerdten, an, den dieser in Ingolstadt anläßlich der Ausstellung "Die schönsten Bücher Deutschlands 2013" am 23. November 2013 hielt. Ulrich Goerdten stellte dafür einen von ihm überarbeiteten Text zur Verfügung, Klaus Staffel gestaltete den Druck und viele wirkten mit, "um den im Vortrag angesprochenen Raubdruckcharakter auch in diesem Druck wirklichkeitsnah mit allen Fehlern und Fehlbarkeiten zu realisieren", so die Herausgeber. Der Vortrag erschien (als Manuskript gedruckt) in einer numerierten Auflage von 100 signierten Exemplaren. Noch sind Restexemplare zu einem Preis von 6,95 € zuzüglich Versandkosten bei Ernst Reif erhältlich.
 
Ulrich Goerdten - "Die Pirckheimer"
Edition der Pirckheimer in Bayern
Quart, 32 S., brosch, 4 Ill. (s/w)
Reichertshofen 2013

Mi, 21.05.2014

Das Buch als Beute

Geyler - Narrenschyff, Büchernarr
(aus: Anonymous - Navicula sive
Speculum fatuorum. Straßburg,
Postinkunabel)
Goethe - um seiner auch hier zuerst zu gedenken - übersetzt in den "Maximen und Reflexionen": "Auch Bücher haben ihr Erlebtes." Vor dem "habent sua fata libelli" stehen allerdings im Urtext des Terentianus Maurus noch die Worte "pro captu lectoris", und gerade dieser zumeist unterdrückte Teil des beliebten Zitats erweist sich als besonders sinnträchtig, wenn mann die Goethesche Freiheit des Weglassens einmal umkehrt in einen Drang zur Wörtlichkeit, der das "captu" nicht nach der klassischen Tradition als geistiges Fassungsvermögen, sondern nach dem semantischen Grundgehalt des Verbums "capere" als Zupacken, Raub, Beute begreift. So manchem Buch wird nämlich ein oftmals ergreifendes Schicksal zuteil. Fast jeder kennt die milderen Formen der Jagdlust, die den Betrachter von Buchhandelsschaufenstern befallen können. Die aufreizend ausgebreiteten teuren Neuerscheinungen mit ihren knalligen Aufmacherbildchen, die steifgraue Unscheinbarkeit wissenschaftlicher Publikationen, die ärmlichen Schmuddelkinder in den Grabbelkisten, sie alle wecken eine unklare Lust aus Hingrabschen und Beschnuppern, mit der Folge, daß, sobald man das Buch in der Hand hat, darin geblättert und einen Halbsatz gelesen hat, ein weitläufiges Phantasiegebilde zusammenschießt, in dessen Mittelpunkt das liebe Selbst in edler Haltung der Leselust obliegend vom angenehmsten Licht umflossen erscheint.
Wer dem Zugriff-Impuls dann nachgibt, sei es, daß er der bürgerlichen Ordnung gemäß (erwirb es, um es zu besitzen - um auch Goethe einmals das verkürzte Zitiertwerden angedeihen zu lassen), sei es, daß er krass kriminell sich des Buches bemächtigt, der kann es erleben, daß ihm das begehrte Stück daheim plötzlich seines Phantasieschmuckes entledigt gänzlich wertlos erscheint; es verschwindet ungelesen im Regal, steht nur noch so als Trophäe herum, wird höchstens von einem Besucher entdeckt, der von verwandtem Wahne befallen das Buch ausleiht und es nun selbst wieder ungelesen wegstellt, vergißt und nie zurückerstattet. Ein mehr oder minder großer Teil jeder Privatbibliothek wird aus solchen Phantomgebilden bestehen, die nicht für konkrete und aktuelle Lese- und Arbeitsbedürfnisse angeschafft wurden, sondern ihrem Besitzer "irgendwie" zu eigen geworden sind. ... è weiterlesen
(Ulrich Goerdten)

Fr, 16.05.2014

Plakate aus der DDR

Fritz Springefeld 1956
Die berlin-brandenburgischen Pirckheimer trafen sich am 15. Mai im Kleinen Säulensaal der Zentral- und Landesbibliothek, wo Frau Dr. Sylke Wunderlich, die Treuhänderin der Stiftung Plakat Ost über „Plakate aus der DDR“ sprach. Sie illustrierte ihren Vortrag mit Projektionen von Beispielen aus der Stiftungssammlung, die von allgemeinen politischen Bekundungen über Film- und Theaterankündigungen bis zu Produktwerbungen für Kosmetika, Bekleidungsartikeln und optische Geräte reichten. Die in der DDR hochentwickelten graphischen Künste hatten hier ein Betätigungsfeld, auf dem ein breites Spektrum von Techniken und Stilen zur Anwendung gebracht werden konnte, das zum Teil aus Anregungen erwuchs, die aus der Zeit vor der Naziherrschaft stammten.
Rolf Felix Müller 1966
Einflüsse der Bauhaus-Ästhetik und der expressionistischen Kunst wurden an Beispielen gezeigt. Lebendig und anschaulich wurde der Vortrag besonders durch Schilderungen von persönlichen Begegnungen mit Künstlern und durch Anekdotisches, das sich um einzelne Plakatschöpfungen rankte. Fritz Springefelds plakativer Einsatz für Perlonstrümpfe im Konsum oder Rolf Felix Müllers Plakat zur Aufführung von Rolf Hochhuths „Stellvertreter“ in Gera (1966) werden den Zuhörern für immer in Erinnerung bleiben. Die Stiftung Plakat Ost sammelt auch Nachlässe von Plakatkünstlern. Sie zeigt ihre Schätze auf Ausstellungen und informiert über ihre Arbeit durch Vorträge und durch eine gelungene Präsentation im Internet.
(Ulrich Goerdten)

Fr, 25.04.2014

Finissage der Arno-Schmidt Ausstellung

Zum 100. Geburtstag des Autors Arno Schmidt zeigte die Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin eine Ausstellung mit seinen Werken und einer Auswahl der umfangreichen Sekundärliteratur aus eigenen Beständen und den Beständen der Philologischen Bibliothek. Hinzu kammen einige Stücke aus Privatsammlungen und Materialien, die von der Arno Schmidt Stiftung / Bargfeld zur Verfügung gestellt wurden.
Am Montag, 28.04.2014, geht diese zu Ende. Um 17 Uhr wird Ulrich Goerdten (Berlin & Bargfeld) durch die Ausstellung führen und die Exponate erläutern.
Alle Interessenten sind herzlich eingeladen.
(Susanne Rothe)

Foyer Universitätsbibliothek der FU Berlin
14195 Berlin
Garystraße 45

Mo, 14.04.2014

Neue Wege der Altbuchverwertung

In Bibliotheken und Archiven, die ihre Schätze digitalisieren und online verfügbar machen, wächst die Neigung, die anscheinend überflüssig gewordenen Buchbestände auszusondern. Zeitschriften und Reihenpublikationen werden, weil ihr Inhalt in Datenbanken und frei im Internet angeboten wird, in großen Mengen makuliert und der Vernichtung zugeführt. Darüber muss man nicht wehklagen, die Folgen sind teilweise durchaus erfreulich: die leergeräumten Flächen werden in unbeengte Erlebnisbereiche verwandelt, in denen die Leser bei aufgelockertem, auch dem Gespräch förderlichem Wohlfühl-Ambiente, einen nicht mehr von Arbeitsstress belasteten, entspannten Bibliotheksaufenhalt genießen können. ...
Fotos © Ulrich Goerdten
Die Halden der unverkaufbar und nutzlos gewordenen Bücher erreichen inzwischen beachtliche Gipfelhöhen, bei deren Anblick geängstete Propheten Schlimmes weissagen. Alles deute darauf hin, dass Bücher bald eine nutzlose Altlast sein werden. Sie verkünden, die Schwelle zum buchlosen Zeitalters sei schon betreten. Sie übersehen dabei aber, dass auch Gegenbewegungen zu beobachten sind, dass Bücher mancherorts schon einem neuartigen Gebrauch zugeführt worden sind. ... gesamten Artikel lesen! BücherboXX
 
(Ulrich Goerdten)

Sa, 15.02.2014

Die kluge Frau um 1912

Immer wieder finden sich bei bibliographischen Recherchen in alten Zeitungen wichtige Texte, die selbst den Spezialisten unbekannt sind. Der jüngste Fund betrifft Paul Scheerbart, zu dem es eine Personalbibliographie gibt, deren Verfasser Uli Kohnle zwar Vollständigkeit der Nachweise anstrebt, der aber zugeben muss, dass absolute Lückenlosigkeit nie zu erreichen sein wird. Der neu aufgefundene Text gehört zu einer Zusammenstellung von Antworten auf die Frage „Soll sie klug sein?“, die im Dezember 1912 vom Berliner Tageblatt berühmten Zeitgenossen vorgelegt wurde. Selten hat das männliche Überlegenheitsgefühl seine Vorurteile so offen zur Schau gestellt wie in dieser Textsammlung, die dem Studium der Gender-Forscher und -Forscherinnen sehr empfohlen werden kann. Paul Scheerbart vermeidet die hier vorherrschende ungewollte Selbstentblößung, indem er den männlichen Überlegenheitswahn zum Zentrum seiner „um die Ecke gedachten“ Argumentation macht. Ein verschmitztes Stück Scheerbartscher Gesellschafts-Verulkung.
(Ulrich Goerdten)
 
„Muss sie klug sein?“
 
Die Beantwortung dieser Frage ist gleichbedeutend mit einer Lösung des ganzen Eheproblems. Hier meine Antwort: Sie muß klug scheinen, darf aber niemals klug sein. Das sieht verblüffend einfach aus, ist es aber nicht – sonst hätten wir ja kein „Eheproblem“. Die Sache liegt doch so: „Er“ will immer in irgendeiner Beziehung sehr groß dastehen; ist Er ein guter Familienvater, so will Er der beste aller Familienväter sein – und die Frau bracht nur so klug zu sein, daß Sie Ihm das so sagt, daß Er’s glaubt. Das geht nun so durch alle Berufsarten: legt jemand Wert aus seinen Geheimratstitel, so will Er auch „Wirklicher“ und schließlich auch „Ober“ sein – Aufgabe der Frau auch hier: das so zu sagen, daß Er’s glaubt – was der Staat sagt, ist gleichgültig; die Frau muß sich eine Stellung schaffen, die den Staat überragt. Noch eine dritte Illustration: Mancher Er will als heimliches Genie gefeiert sein. Da muß die Frau sehr vorsichtig vorgehen und nur so alles Schmeichelhafte sagen, daß Er das auch für bare Münze nimmt; sehr viele Er’s vertragen die Ovation nur dann, wenn sie in ironisch-höhnische Futterale gesteckt ist . . .
Das Schwierigste bei der Sache ist dieses: Sie muß wahrhaftig eine ganze Fülle von Klugheit besitzen, um Ihm geschickt was vormachen zu können . . . aber – wehe, wenn Ihr einfällt, eine „wirklich“ kluge Frau zu werden!! Dann würde sie ja unter Umständen geneigt sein, „kritisch“ gegen Ihn vorzugehen. Na – und da kann ich nur aus langjähriger Erfahrung sagen: die Kritik löst die besten Ehen auf.
Also – wie gesagt: Sie muß klug scheinen, darf aber niemals klug sein. Wer mit dieser Formel nichts anzufangen weiß, der suche sich eine andere; nur vergesse Er und Sie nie, daß die Eitelkeit eine ganz unheimliche Größe ist . . .
Paul Scheerbart. (Berliner Tageblatt, 25. Dezember 1912, Morgenausgabe, 4. Beiblatt, Seite 2.)

Mi, 05.02.2014

Arno Schmidt-Lesung

Bernd Rauschenbach, geschäftsführender Vorstand der Arno Schmidt Stiftung Bargfeld, las heute Abend in der Ausstellung "Arno Schmidt zum 100. Geburtstag" der Universitätsbibliothek der FU Berlin.
Die sensible Wucht der Sprache von Arno Schmidt in ihrer vieldeutigen Genauigkeit wurde durch Bernd Rauschenbach in meisterlicher Rhetorik vor vollbesetztem Auditorium, darunter auch einige Pirckheimer, im Foyer der Uni-Bibliothek eindrucksvoll vorgetragen. Rauschenbach betonte, dass er in Tradition der Arno Schmidt-Ausstellung von 1976 an der FU und in Hommage an Ulrich Goerdten, Vorsitzender der Pirckheimer-Gesellschaft, dessen Abhandlung zu psychoanalytischen Interpretationen bei Arno Schmidt bahnbrechend waren, die drei Erzählungen "Kühe in Halbtrauer", "Trommler beim Zaren" und "Windmühlen" ausgewählt hatte.
Eine weitere Lesung Lesung mit Geschichten aus der Zeit der Studentenbewegung mit den FU-Alumni Jenny Schon, Manfried Hammer, Manfred Scharrer wird es am 5. Februar um 20:00 Uhr in im Foyer der Uni-Bibliothek geben. Beppo Pohlmann -Student in den 1970er Jahren - erzählt die Geschichte seines Hits "Kreuzberger Nächte sind lang" (mit Gitarrenbegleitung).
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Sa, 18.01.2014

Arno-Schmidt-Ausstellung der UB der FU Berlin

Jutta Osterhof (links) und Dr. Susanne Rothe
Zum 100. Geburtstag von Arno Schmidt am 18. Januar 2014 luden der Vorsitzende unserer Gesellschaft, Herr Goerdten, und die Stellv. Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit, Frau Dr. Rothe, interessierte Mitglieder der Pirckheimer-Gesellschaft zu einer Sonderführung durch die Arno-Schmidt-Ausstellung in der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin.
Im Mittelfeld der Ausstellung wurde der Werkausgabe der Arno Schmidt Stiftung im Suhrkamp Verlag besonders viel Platz gegeben. Die Überführung des Textes von "Zettel's Traum" aus dem Typoskript-Faksimile in normalen Buchdruck-Satz ist eine bewunderungswürdige Leistung, die hier dokumentiert wird. Daneben ist der "Berliner Raubdruck" in zwei Exemplaren zu sehen, der ein wichtiges Detail der Rezeption dieses Werkes von Arno Schmidt darstellt.
Die Abfolge der Darbietung ist chronologisch, sie möchte die Erscheinungsfolge der Werke Schmidts nachvollziehbar machen. In den seitlichen Vitrinen sind Randbereiche dargestellt wie Übersetzungen, die Aktivitäten der Schmidt-Stiftung, Materialien zu den früheren Schmidt-Ausstellungen (zum Beispiel des Deutschen Literaturarchivs in Marbach) und besonders die wissenschaftlichen Erträge, die zu Arno Schmidt aus der FU Berlin hervorgegangen sind. Hier war es vor allem in den 1980er Jahren der Literaturprofessor Horst Denkler, der über mehrere Semester hin die Studierenden mit dem Werk Schmidts und den sich daraus ergebenden Forschungsproblemen bekannt gemacht hat. Die Dissertationen und Magister-Arbeiten, die hier erarbeitet worden wurden, sind möglichst vollständig zusammengetragen worden.
Ulrich Goerdten (links) im Gespräch mit Ernst Reif und Jürgen Wilke,
Fotos © Abel Doering, weitere Abbildungen durch Klick auf das Bild

Fr, 17.01.2014

Arno Schmidt zum 100. Geburtstag

Zum 100. Geburtstag des Autors Arno Schmidt zeigt die Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin eine Ausstellung mit seinen Werken und einer Auswahl der umfangreichen Sekundärliteratur aus eigenen Beständen und den Beständen der Philologischen Bibliothek. Hinzukommen einige Stücke aus Privatsammlungen und Materialien, die von der Arno Schmidt Stiftung / Bargfeld zur Verfügung gestellt wurden.
Die erste Arno-Schmidt-Ausstellung der UB zeigte im März 1976 Erstausgaben der Werke, Übersetzungen und Sekundärliteratur aus den Beständen der UB. In den seither vergangenen 38 Jahren hat sich die Arno Schmidt betreffende Literatur sehr vermehrt. Nicht nur ist durch die Aktivitäten der Arno Schmidt Stiftung die Zahl der Ausgaben von Schmidt-Texten sehr angewachsen, auch die Sekundärliteratur füllt inzwischen mehrere Regalmeter.
 
Zum 100. Geburtstag von Arno Schmidt am Sonnabend, den 18. Januar 2014, laden Herr Goerdten und Frau Dr. Rothe um 15:00 Uhr alle Mitglieder der Pirckheimer-Gesellschaft und weitere Interessenten zu einer Sonderführung ein.

Statt einer Eröffnung wird der Sekretär der Arno Schmidt Stiftung, Bernd Rauschenbach am Dienstag, 04.02.2014, 20 Uhr in der Ausstellung die Erzählung "Windmühlen" und weitere kurze Texte lesen.

Ausstellung: 17. Januar - 28. März 2014

Foyer Universitätsbibliothek der FU Berlin
14195 Berlin
Garystraße 45

Di, 10.12.2013

Johannes Trojan - Berliner Bilder

Als Jahresgabe 2013 für die Mitglieder des Berliner Bibliophilen Abend konnte heute der Band Berlinische Denkwürdigkeiten 3 mit 133 unbekannten Momentaufnahmen von Johannes Trojan, gesammelt und herausgegeben von Ulrich Goerdten, ausgereicht werden. 70 Exemplare der Auflage, die in 120 Exemplaren beim Luttertaler Händedruck Bargfeld erschien, wurde durch ein Vermächtnis von Prof. Hans-Dieter Holzhausen als BBA-Jahresgabe ermöglicht.
Johannes Trojan (1837-1915) hat von 1866 bis 1903 für das politische Satireblatt "Kladderadatsch" gearbeitet, seit 1886 als Chefredakteur. Er war zu seiner Zeit ein bekannter Autor von Kinderbüchern, von Gedichtbänden. Reiseberichten und Berlin-Skizzen, Seine "Berliner Bilder" sind in den Jahren 1880 bis 1905 entstanden, in einer Zeit der Umbrüche und Veränderungen, die viele Ähnlichkeiten mit den Vorgängen im heutigen Berlin haben. Alles ist aus dem unmittelbaren Erleben mitgeteilt, ein Zug distanzierter Ironie ist allen Texten eigen. Hundert "Momentaufnahmen" hat Trojan in seinem Buch "Berliner Bilder" (1903) veröffentlicht. Einhundertdreiunddreißig unbekannte Texte sind im vorliegenden Band abgedruckt und durch ein Register erschlossen.

Jahresendveranstaltung des BBA

Heute abend trafen sich rund 25 Mitglieder des Berliner Bibliophilen Abend zur letzten Zusammenkunft des Jahres 2013, diesmal eingeladen von Ulrich Goerdten, um sich gegenseitig bei Kaffee, Gebäck und Wein Neuerewerbungen und andere Prachtstücke vorzustellen.
Und das Spektrum des Vorgestellten war groß, vom kürzlich auf der artbook.berlin erworbenen Künstlerbuch mit Graphiken von Susanne Theumer über Flohmarktfunde mit kostbaren Widmungen bis hin zu fast vergessenen Büchern, die dank der bibliophilen Leidenschaft der Mitglieder wieder ins Licht des Interesses gerückt werden konnten. So individuell die Vorstellungen waren, in einem Fall sogar mit "schockierenden Enthüllungen" über die fast ehezerrüttende Geschichte eines Buches, so interessant waren auch alle Beiträge, so z.B. der von Till Schröder über drei sehr unterschiedliche Neuerwerbungen, darunter die Wiederentdeckung des Bohemien, Mitbegründer des Kampfbundes gegen den Faschismus, Schriftstellers und Kneipiers Jack Bilbo.
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Fotos: Abel Doering (bitte anklicken)