Es dürfte eines der begehrtesten antiquarischen Bücher aus den Beständen des Leipziger Reclam-Verlags sein: Stimme Stimme von Wolfgang Hilbig, das einzige Buch des Büchnerpreisträgers und Weltliteraten aus Meuselwitz, das in der DDR erscheinen durfte. Vierzig Jahre ist das nun her: 1983 lag das Buch, um das es eine Reihe Querelen gegeben hatte und das durch die Fürsprache großer Literaten des kleinen Landes (Christa Wolf, Franz Fühmann, Stephan Hermlin) und die umsichtige Betreuung des legendären Reclam-Lektors und -Herausgebers Hubert Witt möglich wurde, endlich vor und war: eine literarische Sensation. Und quasi über Nacht vergriffen. Stimme Stimme versammelte Gedichte und Erzählungen des Autors, zuvor hatten nur zwei Bücher von ihm bei S. Fischer in Frankfurt, also auf der anderen Seite des Vorhangs, erscheinen können: das Lyrik-Debüt abwesenheit (1979) und eine Auswahl frühe Prosa: Unterm Neomond (1982). Da redete einer sprichwörtlich aus dem Untergrund und zugleich brüderlich mit Novalis, Rimbaud und Mallarmé, dass es ein Wunder und eine dunkle Freude war. In der Prosa stellte man den Vergleich mit Kafka an; Hilbigs Heizer dürfte den des Pragers an Intensität mithin noch übertreffen. Da war er, der große Arbeiterdichter ... und das kleine Land zierte sich. Ganz an der Zensur vorbei kam Stimme Stimme nicht, was man an der teils ausgedünnten Fassung von das meer in sachsen, eines programmatischen Gedichts aus Wolfgang Hilbigs vielleicht intensivster Schaffenszeit, erkennen kann. Aber es standen da Dinge, wie man sie lange in der DDR nicht gelesen hatte, zumal, wenn sie aus der Mitte ihrer Gesellschaft kamen. Hilbig, der gelernte Bohrwerksdreher, konnte seinem Heizkeller entsteigen, und der Rest ist Literaturgeschichte. Womöglich sind solche Autoren-Biografien heute im Betrieb eines geeinten Deutschlands nicht mehr möglich. Dieses einzige DDR-Buch Wolfgang Hilbigs, dessen Werk mittlerweile gesammelt bei seinem Frankfurter Verlag vorliegt, ist bis heute gesuchtes Sammelobjekt. Die aufgerufenen Preise für ein Exemplar von Stimme Stimme beginnen in den Antiquariaten bei 35 Euro. Nicht wenig für ein so zartes, vergilbendes Buch, dessen Einband vom Reclam-Procedere abwich. Die Besonderheit seines Inhalts und die Historie seiner Entstehung wird wohl für immer ihr Leuchten bewahren. Hilbig starb 2007. Aber seine Texte sind noch bei uns.
(André Schinkel)